Fortpflanzungsmedizin up to date

Seit es die In-vitro-Fertilisation gibt, versucht man die Implantation des Embryos durch begleitende Massnahmen (sog. „Add-ons“) zu verbessern. Derzeit sind über 20 davon im Spiel. Da alle mit zu-sätzlichen Kosten evtl. auch mit Risiken verbunden sind, lohnt sich eine kritische Haltung.

Es gilt, kritisch zu beurteilen: Was ist wissenschaftlich untermauert, was ist wirkungslos und was liegt dazwischen?

Im Gegensatz zu Medikamenten gibt es keine Zulassungskriterien für Massnahmen und Therapien. Deshalb basieren in der Praxis häufig angewendete Massnahmen in der Regel auf wenig handfesten Daten.

Eine Befragung der britischen Kontrollagentur HFEA ergab – nicht überraschend – dass ein oder mehrere „Add-ons“ bei immerhin 74 % der IVF-Paare eingesetzt wurden (www.hfea.gov.uk/media/2702/pilot-natio­nal-fertility-patient-survey-2018.pdf).

Nicht selten werden „Add-ons“ weiter angewendet, obwohl ihre Wirkungslosigkeit in guten Studien nachgewiesen wurde!

Diese Zusammenstellung – ergänzt durch unsere Kommentare – basiert auf systematischen Übersichten, die kürzlich veröffentlicht wurden (Fertil. Steril. 2019; 112: 978; Fertil. Steril. 2019; 112: 987; Fertil. Steril. 2019; 112: 994).

Klinische „Add-ons“

Routinehysteroskopie vor IVF

Diese Massnahme gründet auf der Beobachtung, dass bei unauffälligem Ultraschall intrakavitäre Anomalien in 12–27 % übersehen wurden (Lancet 2016, 387: 2622–9). Methodisch gute, randomisierte, kontrollierte Studien (RCT-s) zeigten aber keinen Vorteil für die Patientinnen.

Kommentar
Obwohl die diagnostische Hysteroskopie Teil unserer invasiven Diagnostik ist (Laparoskopie, Blauprobe, Hysteroskopie mit Biopsie), führen wir sie bei normalem Ultraschallbefund nicht vor einer IVF/ICSI-Therapie durch.

Follikelstimulation

Gerade bei schlechtem Ansprechen auf die medikamentöse Follikelstimulation („poor responders“) versuchte man immer wieder durch Zugabe von „Adjuvantien“, die Reaktion zu verbessern.

DHEA: in verschiedenen RCT’s widersprüchliche Ergebnisse

Kommentar
Wir wenden es nicht an.

Testosteron:in einer Cochrane Review und neueren RCT’s fand man keine Wirkung.

Kommentar
Grössere RCT’s sind noch nicht abgeschlossen, wir wenden T derzeit nicht an.

Wachstumshormon:RCT’s zeigten keine Wirkung.

Kommentar
Wir wenden es nicht an.

Aspirin, Heparin, Antioxidantien für Mann und Frau (Melatonin, Vit. A, C, E): keine positive Evidenz vorhanden

Kommentar
Heparin nur bei Frauen mit Thrombophilie, obwohl auch hier die Evidenz fehlt.

Seminalplasma:bei Eientnahme in den Fornix vaginae deponiert: eine Cochrane-Analyse war negativ.

Kommentar
Wenden wir nicht an.

Thrombozytenreiches Plasma: intrauterine Infusion bei „dünnem“ (<7 mm) Endometrium – RCT: kein Unterschied

Kommentar
Wenden wir nicht an.

Endometrium

Weshalb implantieren auch euploide Embryos (d. h. solche mit normaler Chromosomenzahl) nur in ca. 50 % und woran könnte ein wiederholtes Implantationsversagen liegen? Zahlreiche Publikationen befassen sich mit dieser Problematik, trotzdem sind die Kernfragen nach wie vor offen.

Immuntherapien

Kortikosteroide:Zur Zeit des Embryotransfers wie auch i. v.-Immunglobuline (eine sehr teure, mehrere tausend Franken kostende Therapie) haben keinen Benefit, dazu kommen Nebenwirkungen wie Thromboembolien und Anaphylaxien.

Kommentar
STOPP!

Granulozytenstimulierender Faktor (G-CSF) (intrauterin oder s. c.): Datenlage unklar

Kommentar
Verwenden wir nicht.

Intrauterine HCG-infusion

Diese erfolgt beim Embryotransfer. Eine Cochrane-Analyse von 17 RCTs konnte wegen zu grosser Hetereogenität keine Schlüsse ziehen.

Kommentar
Wegen ungenügender Evidenz wenden wir diese Methode nicht an.

Endometrium „Scratching“

Mittels Pipelle wird während der Lutealphase vor dem Stimulationszyklus das Endometrium gekratzt (scratching). Die darauffolgende lokale Entzündungsreaktion und eine lokale Aktivierung des Immunsystems sollen die Implantation verbessern. Dies ist schwer zu verstehen, da die ganze Funktionalis des Endometriums bei der darauffolgenden Menstruation abgestossen wird.

Dieses „Add-on“ ist weit verbreitet und populär. Es gibt mehr als 30 RCT’s dazu. Die grösste Studie mit mehr als 1300 Frauen war aber negativ (N. Engl. J. Med 2019; 380: 325-34)

Kommentar
Wir haben bisher auf ein endometrial scratching verzichtet und bleiben vorerst dabei.

Endometrial Receptivity Analysis (ERA)

Dieser kommerziell angebotene Test beruhend auf der Annahme, dass das „Window of implantation“ (Implantationsfenster) individuell sei und durch den Test (mittels Genexpression von 248 Genen) die individuell günstigste Zeitspanne der Implantation festzustellen sei. So sollen 25 % der Frauen mit wiederholtem Implantationsversagen ein zeitverschobenes Implantationsfenster haben, das offenbar so in verschiedenen Zyklen gleich bleibt.

Mittels ERA soll so das beste Implantationsfenster und damit der Zeitpunkt des Embryotransfers vorausgesagt werden.

Kommentar
Zurzeit gibt es erst eine abgeschlossene randomisierte Studie (durch die Firma, welche ERA anbietet), auf deren Publikation wir schon
längere Zeit warten. Der Test zum Preis von ca. CHF 500–1000 je nach Anbieter wurde bisher trotz ungenügender Evidenz schon über 50 000 mal weltweit durchgeführt.

Wir selbst bieten ihn bei Patientinnen mit mehr als drei erfolglosen Embryotransfers an, informieren aber die Patientinnen über die derzeit ungenügende Evidenzlage (was die Patientinnen gemäss unserer Erfahrung nicht davon abhält, den ERA durchzuführen).

Embryologielabor

Was sich im Embryologielabor abspielt, ist von herausragender Bedeutung für die Qualität eines IVF-Zentrums. Hier scheidet sich gut von mittelmässig und hier entstehen auch die höchsten Kosten.

Die meisten Innovationen in der ART (assistierte Reproduktionstechniken) fanden in den letzten Jahren in diesem Bereich statt und die breite Umsetzung in die Praxis folgt auch hier dem üblichen Trend, d. h. Anwendung bereits vor dem Vorliegen definitiver Evidenz.

Time-lapse imaging

Die Embryonen entwickeln sich in einem abgeschlossenen Inkubator in grösstmöglicher Homöostase von der Fertilisierung bis zur Teilungsphase, wenn möglich bis zum Blastozystenstadium. Die Entwicklung jedes einzelnen Embryos wird fotografisch dokumentiert. So können die Embryonen mit dem vermutet grössten Entwicklungspotenzial (Algorithmus basierend auf morphokinetischen Kriterien) für den Transfer selektiert werden. Vor der Time-lapse-Aera wurden die Embryonen meist täglich aus dem Inkubator genommen und unter dem Mikroskop durch eine Embryologin morphologisch beurteilt. Diese Schritte können traumatisierend für den Embryo sein (Temperaturschwankungen, Veränderungen der Gaszusammensetzung, Licht, pH etc.). Im Time-Lapse-Inkubator fällt dieser Schritt weg, der Embryo verbringt die ganze Zeit im schützenden Inkubator.

Eine Cochrane-Analyse aus dem Jahr 2019 (9 RCT’s mit 2953 Patientinnen) zeigte allerdings keinen signifikanten Unterschied zur traditionellen Technik.

Kommentar
Hier sind die Bücher noch nicht geschlossen, trotzdem haben wir vollständig auf die Time-Lapse-Technologie umgestellt.

Die ausgezeichnete Homöostase im Time-Lapse-Inkubator und dass sich mit dieser Methode der ideale Zeitpunkt für den Transfer und das Einfrieren überzähliger am Bildschirm festlegen lässt, überzeugen uns.

Ob der Time-Lapse-Inkubator selbst, der Algorithmus oder beides verantwortlich sind, bleibt abzuwarten.

Obwohl eine Ante- und Post-hoc-Analyse eine beschränkte Aussagekraft hat, konnten wir nach Einführung der Time-Lapse-Technologie am Kinderwunschzentrum Baden die Schwangerschaftsrate im Frischzyklus von 33 % (2016) auf 43 % (2018) steigern. Im Vergleich dazu der schweizerische Durchschnitt FIVNAT 2018 von 34 %!

Assisted hatching (AH)

Vor der Nidation muss der Embryo (Blastozyste) aus der Zona pellucida (eine azelluläre Glycoproteinhülle) „schlüpfen“. Es wurde vermutet, dass sich die Zona pellucida in der In-vitro-Kultur verhärtet und dadurch das „Schlüpfen“ erschwert bzw. eine Implantation manchmal verunmöglicht werde. Eine Öffnung „Assisted hatching“ mittels Säurelösung (Tyrode) oder mechanisch (z. B. mittels CO2-Laser) könnte aber auch den Embryo beschädigen und monozygote Mehrlinge begünstigen. Die Faktenlage ist nicht schlüssig. Bisher konnte nicht gezeigt werden, dass dadurch die Lebendgeburt-Rate ansteigt. In den Guidelines vom Jahr 2014 der ASRM wird festgehalten, dass bei Patientinnen mit „schlechter Prognose“ die Schwangerschaftsraten durch AHA leicht verbessert werden könne.

Kommentar
Im frischen Zyklus benützen wir die CO2-Lasertechnik für ein Ausdünnen der Zona pellucida („thinning“), wenn diese zu dick ist und dadurch das Schlüpfen des Embryos behindern könnte (kommt allerdings selten vor).
In den Auftauzyklen ist das AH hingegen bei uns Standard, da bei der Vitrifikation die Zona pellucida „versteift“. Diese iatrogene Störung wird direkt nach dem Auftauen mit dem CO2-Laser behoben, in dem man eine kleine Lücke in die Zona pellucida „schiesst“. Da der Embryo zu diesem Zeitpunkt noch nicht expandiert ist, ist eine Schädigung sehr unwahrscheinlich.

Hyaluronsäure (= Embryoglue)

Hyaluronsäure ist ein Additiv im Transfermedium, es soll die Angiogenese und die Zell-Matrix-Adhäsion fördern und wegen seiner höheren Viskosität die Expulsionsrate der Embryos reduzieren. Eine Cochrane-Analyse zeigte eine Tendenz zu vermehrten Mehrlingsschwangerschaften (mehr als ein Embryo transferiert) und möglicherweise eine erhöhte Lebendgeburt-Rate. In einem grossen RCT mit 581 Zyklen fand man jedoch keinen Unterschied.

Kommentar
Die Studienlage ist uneinheitlich. Wir verwenden aber die Hyaluronsäure für alle Transfers und begegnen dem Risiko von Mehrlingsschwangerschaften durch den Transfer von nur einem Embryo.

Messung der DNA-Fragmentierung der Spermien

Es wird immer wieder versucht, die relativ groben Parameter der Spermienanalyse (Zahl, Motilität, Morphologie) mittels aussagekräftigen Parametern zu ergänzen. Eine Analyse zeigte, dass bei einem hohen Anteil (mehr als 30–40 %) von Spermien mit fragmentierter DNA die spontane Konzeptionsrate zu Null geht. Deswegen wird in diesen Fällen zu ICSI geraten. Allerdings fehlen Zahlen zur DNA-Analyse bei ICSI-Behandlung. Das gleiche gilt für die spezielle Spermienaufbereitung mit MACS (Magnetic Activated Cell Sorting) bei pathologischer DNA-Fragmentierung. Die Datenlage ist so ungenügend, dass sowohl ASRM sowie die British Fertility Society diesen Test nicht empfehlen.

Kommentar
In der Diagnostik verwenden wir die DNA-Fragmentierung nur bei Zustand nach Chemotherapie oder bei fehlender Spontankonzeption trotz ansonsten unauffälligen Spermienparametern. Keine Anwendung bei ICSI-Therapie. Das gilt auch für die MACS-Aufbereitung.

Oozytenaktivierung (OA)

Die OA ist ein physiologischer Prozess (Calciumeinstrom in die Zelle), der durch das Eindringen der Spermatozyte in die Eizelle ausgelöst wird. Eine komplett fehlende Fertilisation nach IVF/ICSI ist eine enorme Enttäuschung, die in 3 % vorkommt. Dies ist nicht voraussehbar und die Ursachen sind unklar. Trotzdem hat man in solchen Fällen versucht, das Problem durch eine Oozytenaktivierung mittels Calcium-Ionophor, welches die Membranpermeabilität für Calcium erhöht, zu lösen.

Kommentar
Wie verwenden es nur in ausgesuchten Ausnahmefällen. Dies vor allem bei einer fehlenden Aktivierung der Eizelle bei ICSI-Therapie, wenn über 2/3 der Eizellen bei der Befruchtungskontrolle keine Vorkerne zeigen. Beim folgenden TZuZyklus wird dann CaIonophor versucht.

IMSI

Als Verbesserung zur bekannten ICSI ist die intrazytoplasmatisch morphologisch selektierte Spermieninjektion (IMSI) versucht worden, um die sogenannten besten Spermatozyten mit dem höchsten Fertilisationspotenzial zu selektieren. Dabei werden morphologische Organellen beweglicher Spermien untersucht (Akrosom, postakrosomale Lamina, Hals, Mitochondrien, Schwanz und Kern). Dies geschieht unter grosser Vergrösserung (6000–13 000-fach) und ist zeitaufwendig. Ein Cochrane-Review basiert auf qualitativ niedriger Evidenz und zeigte keine Verbesserung der Ergebnisse.

Kommentar
Wir wenden wie vermutlich alle Zentren in der Schweiz die IMSI-Technik nicht an.

PGT-(Präimplantations Genetische Testung)

Die neue Nomenklatur fasst den deutschen geläufigen Begriff Präimplantationsdiagnostik unter PGT (preimplantation genetic testing) zusammen, wobei PGT mit dem Suffix „-A“ das Screening auf Aneuploidie, mit „-SR“ die Suche nach strukturellen, chromosomalen Störungen (z. B. balancierte Translokationen) und mit „-M“ der Test auf vorbestehende, monogenetische Erkrankungen (z. B. zystische Fibrose und viele andere) ergänzt wird.

Während PGT-SR oder PGT-M den betroffenen Paaren viel Leid erspart und unbestritten ist, zeigt sich die Situation für ein allgemeines Aneuploidie-Screening anders.

PGT-A hat sich sehr rasch in den USA und in Europa vor allem in Spanien, durchgesetzt, nachdem einige positive randomisierte Studien veröffentlicht worden sind. Die Kosten einer PGT-A sind erheblich (in den USA erhöhen sich die Kosten für einen IVF-Zyklus von 10 000–16 000 $ um weitere 3000–6000 $). In der Schweiz liegen die Zusatzkosten bei ca. 3000–5000 CHF. Der sogenannte STAR trial, der im Dezember in Fertility Sterility publizert wurde (Munné et al., Fertil Steril 2019; 112: 1071–1078 (1079. e1–e7), hat nun einen starken Dämpfer gesetzt. Im Vergleich zur Kontrollgruppe fand sich kein Unterschied durch das PGT-A im Gesamtkollektiv und bei Frauen unter 35 Jahren. Eine Subanalyse der Frauen zwischen 35 und 40 Jahren hingegen zeigte signifikant höhere Schwangerschaftsraten nach PGT-A (Transfer eines euploid getesteten Embryos) Die Kommentatoren dieser Studie (Paulsen J. Fertil Steril 2019, 112: 1013-1014 und Schattmann G. L. et al Fertil Steril 2019, 112: 1046-1047) fällen ein negatives Urteil.

Auf die PGT-A gehen wir in unserem Artikel „Für sie kommentiert“ (PGT-A: Primum nil nocere!) im Detail ein. Der Schlusssatz eines der Kommentatoren − mit der Empfehlung PGT-A nur im Rahmen von Studien, die von Ethikkommissionen bewilligt werden, durchzuführen − ist eigentlich vernichtend.

Kommentar
Bisher haben wir wegen der heiklen Evidenz die PGT-A-Methode nicht oder nur in ausgewählten Einzelfällen angeboten und fühlen uns mit dieser Haltung heute bestätigt. Wichtig scheint, dass die Patientinnen genauestens informiert sind über die „Pros“ und „Kontras“ und die erheblichen Zusatzkosten. Wenn man davon ausgeht, dass durch die PGT-A (invasive Entfernung von Trophoblastzellen für die Diagnostik) eine relativ hohe Zahl der getesteten Embryonen (50 %) so geschädigt werden, dass wir sie nicht mehr implantieren können, oder dass diagnostizierte Mosaike evtl. keine Bedeutung haben, kann man sich schlecht vorstellen, dass informierte Patientinnen für eine PGT-A optieren!

Diese Webseite verwendet Cookies. Durch die Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Datenschutzinformationen
loading