Chronic Pelvic Pain Syndrome – Erfindung oder Realität?

Chronic Pelvic Pain Syndrome – Erfindung oder Realität?

Das Chronic Pelvic Pain Syndrome (CPPS) ist ein Symptomenkomplex, der in der medizinischen Literatur und auf Kongressen in den verschiedensten Bereichen immer wieder auftaucht. Klare Definitionen fehlen leider oft, und man bekommt den Eindruck, dass das CPPS eine Art «Black Box» ist, in der sich eine Vielzahl unerklärlicher Schmerzzustände sammeln. Häufig begegnet uns in der Gynäkologie der Schmerz als Leitsymptom der Endometriose, die im Folgenden in diesem Kontext ebenfalls diskutiert wird.

Ist das CPPS nun eine Erfindung von verzweifelten MedizinerInnen, die keine bessere Erklärung für die Beschwerden der Patientinnen haben, oder gibt es das CPPS in der Realität? Wenn ja, wie sehen Behandlungsmöglichkeiten aus, was sind die Differentialdiagnosen? Der aktuelle Artikel gibt einen Überblick über das CPPS und – Sie ahnen es sicherlich! – wird Ihnen demonstrieren, dass das CPPS gerade auch in der Gynäkologie eine sehr präsente Realität ist.

Als chronisches Beckenschmerzsyndrom oder neudeutsch chronic pelvic pain syndrome, CPPS wird ein Symptomkomplex bezeichnet, dass ohne vorliegende Infektion oder akutes Trauma zu teilweise invalidisierenden Schmerzen über mehr als drei Monate führt. Bei Frauen tritt dieses Syndrom oft gemeinsam mit Endometriose, Bladder Pain Syndrom oder interstitielle Zystitis auf, bei Männern mit chronischer abakterieller Prostatitis.

Die Prävalenz des CPPS schwankt je nach Literaturangaben zwischen 1–11 %.
Tabelle 1 gibt einen Überblick über mögliche Hintergründe und Symptome des CPPS.

Der chronische Beckenschmerz stellt eine multifaktorielle Erkrankung unklarer Ätiologie dar. Es gibt keine international allgemein anerkannten und therapeutischen Standards für die Behandlung.

Die Symptome des CPPS können sich mannigfaltig äussern.

Dabei muss es sich nicht nur um Schmerzen handeln, sondern typischerweise auch um Beschwerden wie Missempfindungen, Brennen, Stechen, Kribbeln, Reizblasenbeschwerden, Druck-, Krampf- oder Verspannungsgefühl oder einfach einem unangenehmen Bewusstsein im Beckenbereich.

Die Schmerzen können über dem Schambeinknochen im Bereich der Blase, entlang der Harnröhre, im Bereich der Labien, Klitoris, am Scheideneingang, am Damm (zwischen Scheideneingang und After), am After oder am Steissbein mit Ausstrahlungen in die Leiste oder in den Bauch auftreten. Die Symptome können konstant oder intermittierend, z.B. nur nach dem Wasserlösen, nach dem Stuhlen oder nach der Sexualität bemerkbar sein. Oft kann langes Sitzen, enge Kleidung, Kälte oder Stress die Beschwerden verstärken.

Die Symptom-Palette kann durch Verkürzungen der am Becken angrenzenden Muskulatur oder Verspannung der Beckenbodenmuskulatur mit eventueller Bildung von Triggerpunkten entstehen oder unterhalten werden.

Ist das CPPS nun eine Erfindung von verzweifelten MedizinerInnen, die keine bessere Erklärung für die Beschwerden der Patientinnen haben, oder gibt es das CPPS in der Realität? Wenn ja, wie sehen Behandlungsmöglichkeiten aus, was sind die Überlappungen mit anderen Schmerzsyndromen

Wie auch bei anderen Schmerzsyndromen, beispielsweise Irritable Bowel Syndrome und interstitielle Zystitis, interstitielle Zystitis und Endometriose bekannt, gibt es Überlappungen mit anderen Schmerzsyndromen, und es lohnt sich, während der Anamnese darauf einzugehen.

Pathophysiologie

Es werden zwar pathophysiologisch je nach beteiligtem Organsystem abakteriell-entzündliche, immunologische, hormonelle sowie funktionelle und psychosomatische Faktoren diskutiert. Mittlerweile wird jedoch in der aktuellen Literatur berücksichtigt, dass Schmerzen, insbesondere im chronischen Verlauf, nicht eine simple Reizreaktion in eindeutiger Korrelation zum Schweregrad der sie verursachenden Erkrankung darstellen. Der Chronifizierungsprozess bei Schmerzsyndromen ist nicht nur als zeitliches Phänomen zu verstehen, vielmehr liegen komplexe Interaktionen somatischer und psychosozialer Faktoren vor. So können auch bei einer primär organisch ausgelösten Schmerzsymptomatik psychosoziale Faktoren und psychische Begleiterkrankungen die Krankheits- und Schmerzverarbeitung entscheidend mitgestalten.

Psychosexuelle Aspekte

Schmerzerkrankungen des urogenitalen Bereichs haben Auswirkungen auf die psychosexuelle Befindlichkeit, auf partnerschaftliche, familiäre und berufliche Bereiche.
Ein Circulus Vitiosus kann sich rasch entwickeln:
Vorgängige Schmerzen im Beckenbereich haben bereits eine Anspannung der Beckenbodenmuskulatur ausgelöst. Angst bei Berührung oder intimen Kontakten verstärkt die Anspannung im Beckenbodenbereich, der Introitus wird enger, der Schmerz damit stärker und schlussendlich Geschlechtsverkehr unmöglich. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden, um die Patientin suffizient therapieren zu können. Bei diesen Patientinnen ist es empfehlenswert, mit dem kleinstmöglichen Spekulum und nur einem Finger bei der bimanuellen Untersuchung zu palpieren, mögliche Triggerpunkte dabei zu identifizieren.

Überlappungen mit anderen Schmerzsyndromen

Wie auch bei anderen Schmerzsyndromen, beispielsweise bei der Kombination Reizdarm und interstitielle Zystitis, interstitielle Zystitis und Endometriose, gibt es Überlappungen mit anderen Schmerzsyndromen, und es lohnt sich, während der Anamnese darauf einzugehen.
Exkurs aber eigentlich voll im Kurs: Endometriose

Endometriose präsentiert sich unter vielen Gesichtern, das Beckenschmerzsyndrom ist hierbei sehr häufig. Die Kombination von interstitieller Zystitis und Endometriose tritt bei ca. 30 % der Endometriosepatientinnen auf und wird historisch als die „evil twins“ bezeichnet, in der Erweiterung um das Reizdarmsyndrom und Beckenbodenmyalgie als „evil quadruplets“.

Endometriose, definiert als das Vorkommen endometriumartiger Zellverbände ausserhalb des Cavum uteri, ­betrifft ungefähr 10 % der Frauen im geschlechtsreifen Alter. Fast 30 % der Frauen mit Unterbauchschmerzen und bis zur Hälfte der Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch leiden an einer Endometriose. Obwohl die Krankheit sehr häufig ist, wird sie oft verkannt. Neuere Untersuchungen in verschiedenen europäischen Ländern haben gezeigt, dass zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der korrekten Diagnose einer Endometriose immer noch zwischen acht und zehn Jahre vergehen. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass die volkswirtschaftliche Belastung der Endometriose mit jenen anderen chronischen Krankheiten (Diabetes, Morbus Crohn, rheumatoide Arthritis) vergleichbar ist.

Die Ätiologie einer Endometriose ist multifaktoriell. Bei der peritonealen Endometriose spielt die retrograde Menstruation sehr wahrscheinlich eine wichtige Rolle. Die Implantationstheorie von Sampson J.A. (1873–1946) postuliert, dass durch retrograde Menstruation endometriales Gewebe in die Bauchhöhle gelangt. Unter dem Einfluss parakriner und endokriner Faktoren kommt es dann zum Wachstum dieser ektopen Zellen. Genetik und Epigenetik spielen hier auch eine zentrale Rolle, denn Endometrioseherde entstehen nur bei einigen Frauen, obwohl physiologischerweise bis zu 90 % der Frauen eine retrograde Menstruation aufweisen. Andere Studien deuten auf eine fehlgeleitete Funktion endometrialer Stammzellen als einen möglichen Pathogenesemechanismus hin.

Endometriomen (= Endometriosezysten im Bereich der Ovarien) entstehen möglicherweise durch Metaplasie von invaginiertem Zölomepithel. Es ist gibt jedoch wissenschaftliche Hinweise, dass Endometriome aus funktionalen Ovarialzysten entstehen die sekundär durch retrograd ins Abdomen gelangte Endometriumzellen infiltriert werden. Eine Metaplasie von Resten der Müller’schen Gänge oder eine Infiltration ausgehend vom Douglas werden als pathogenetische Ursache der tief infiltrierenden Endometriose mit möglichem Befall des Darmes oder der Harnblase angesehen. Für die extragenitalen Manifestationen werden hämatogene oder lymphogene Metastasen sowie pluripotente Zellen verantwortlich gemacht.

Leitsymptom ist der Unterbauchschmerz, häufig besteht eine Sterilität. Endometrioseherde reagieren auf den zyklischen Einfluss von Östrogenen und Progesteron wie das eutope Endometrium mit Proliferation und Sekretion. Nebst diesem hormonellen Einfluss spielen lokale, peritoneale Entzündungsgeschehen eine, vor allem bei Schmerzen, zentrale Rolle. Das Erscheinungsbild der Endometriose ist vielfältig. Die meisten symptomatischen Patientinnen leiden an den Kardinalsymptomen Dysmenorrhoe (95 %) und Dyspareunie (64 %). Viele klagen aber auch über chronische Schmerzen (85 %) oder Abgeschlagenheit (87 %). Häufig kommen verschiedene Symptome zusammen. Je nach Lokalisation der Endometrioseherde kommen Dyschezie (64 %) oder Dysurie (31 %) vor. Ein Drittel der Frauen mit Endometriose ist asymptomatisch; bei ihnen wird die Diagnose oft anlässlich einer Laparoskopie im Rahmen einer Sterilitätsabklärung gestellt. Bei Patientinnen, die über Symptome wie Dysmenorrhoe, Dyspareunie oder chronisch-rezidivierende Unterbauchschmerzen berichten, ist unbedingt an eine Endometriose zu denken.

Der Goldstandard zur Erfassung einer intraabdominalen Endometriose ist die Laparoskopie. Dabei können endometrioseverdächtige Bereiche nicht nur bioptisch zur histologischen Sicherung entnommen werden, sondern mit einem therapeutischen Ansatz auch entfernt werden.

Die Laparoskopie ist nicht nur der Goldstandard zur Diagnosestellung, sondern gleichzeitig auch der geeignete Zugang für eine operative Therapie. Der Erfolg ist jedoch stark von der klinischen und technischen Erfahrung des Operateurs bzw. der Operateurin abhängig. Peritoneale Endometrioseherde werden entweder mit dem CO2-Laser evaporisiert oder, vor allem grössere Bezirke, exzidiert. Endometriome bis zu einer Grösse von 4 cm sollten exzidiert oder eröffnet und die Zystenwand mit dem CO2-­Laser evaporisiert werden. Bei Endometriomen, die > 4 cm sind, kann ein zweizeitiges Vorgehen mit Biopsie und Drainage anlässlich der ersten Operation, Therapie mit Gestagenen für drei Monate und anschliessender ­second look Laparoskopie mit Evaporisation der Zystenwand diskutiert werden.

Bei Befall des Septum rectovaginale ist eine Behandlung nur erfolgreich, wenn eine radikale Exzision des befallenen Gewebes erfolgt. Auch nach Durchführen einer präzisen Bildgebung ist das wirkliche Ausmass des Endometriosebefalls oft erst intraoperativ zu erkennen. Eine urogenitale Endometriose ist selten und betrifft nur ca. 1 bis 2 % aller Fälle von Endometriose. Bei der tief infiltrierenden Endometriose ist in ca. 12 % der Fälle der ableitende Urogenitaltrakt ebenfalls befallen. Deshalb sind präoperativ die ableitenden Harnwege speziell zu untersuchen und die Operateure bereit, die entsprechenden Pathologien zu behandeln.

Alternative Behandlungsmöglichkeiten

Manche Patientinnen profitieren von alternativen Behandlungsmöglichkeiten wie Akkupunktur, Phytotherapie, Ayurveda oder einer Ernährungsumstellung. Aufgrund der ausgeprägten psychischen Belastung in Partnerschaft, Sexualität und sozialem Umfeld benötigen ­einige Frauen zusätzlich auch psychotherapeutische ­Unterstützung. Selbsthilfegruppen (www.endo-help.ch) bieten Gelegenheit zum Austausch von Erfahrungen und Strategien zur Krankheitsbewältigung.

Insgesamt sollte die Therapie mit multisystemischem ­Ansatz erfolgen und die verschiedenen Systeme optimieren:

Therapien CPPS

Die Therapien richten sich nach dem Leitsymptom; die Analgetikatherapie richtet sich nach dem WHO Schema und beginnt in der Regel mit peripher wirksamen Analgetika mit antiphlogistischen Eigenschaften und kann bis hin zu zentral wirksamen Opioiden, die ggf. auch in Kombination mit peripher wirksamen Präparaten eingesetzt werden. Insbesondere mit dieser medikamentösen Therapie ist auf regelmässigen Stuhlgang zu achten und ggf. eine Stuhlregulation mit Relaxantien zu veranlassen.

Physiotherapie und Medikamente

Bei myofaszialen Schmerzen des Beckenbodens kann eine sexualmedizinisch ausgebildete Physiotherapeutin, wie beispielsweise bei den PelviSuisse oder SOMT ausgebildeten Therapeutinnen, sehr hilfreich sein. Die Therapie beinhaltet beckenbodenrelaxierende Massnahmen, eher das Gegenteil von dem, wofür wir sonst Physiotherapie verordnen. Beckenbodentonisierende Massnahmen, das Trainieren der Anspannung in dieser Situation sollte nicht instruiert werden. Eine Triggerpunktmassage kann langfristig bei der Relaxation helfen, ist aber absolut keine Wellness Massage, was wir der Patientin vorher ­erklären müssen. Zusätzlich können zentral wirksame Muskelrelaxantien wie beispielsweise Sirdalut® oder lokal wirksame Muskelrelaxantien wie Botox® hilfreich sein. Letztere Therapie erfordert vorgängig die Kostengutsprache bei der Krankenkasse.

a-Blocker

Bei CPPS mit obstruktiven Miktionsbeschwerden findet sich eine relativ gute Ansprechrate, die bei langjährig ­bestehender Problematik nicht so ausgeprägt ist. Eine ­signifikante Schmerzreduktion wird in der Regel nicht ­erreicht.

Anticholinergika

Anticholinergika sind, insbesondere bei einer überaktiven Blase oder bei einer Reizblasensymptomatik wirksam. Untersuchungen über den Einsatz bei der CPPs liegen nicht vor; Anticholinergika sind bei zusätzlichen Reizblasenbeschwerden einen Versuch wert, auch wenn der Einsatz bei der CPPS mit hyperaktiver Blase nicht explizit nachgewiesen ist.

Phytotherapie und Komplementärmedizinische ­Massnahme

Die Datenlage zu phytotherapeutischen Medikamenten ist sehr heterogen. Pollenextrakte und Bioflavonoide können eine Symptomenverbesserung zeigen, sodass der Einsatz gerechtfertigt ist.

Hinsichtlich komplementärmedizinischer Massnahmen gibt es keine valablen Studien; in Einzelfallbeschreibungen können Akupunktur, chinesische Medizin und andere komplementärmedizinische Massnahmen hilfreich sein.

Fazit

das CPPS ist sicherlich keine Verlegenheitsdiagnose, sondern tägliche Realität in der gynäkologischen Sprechstunde. Eine Zusammenarbeit von Gynäkologie, Schmerztherapie, Physiotherapie und Gastroenterologie ist unter einem Dach wünschenswert und für die Patientin hilfreich. Komplementärmedizinische Massnahmen ­können zusätzlichen Benefit bringen.

Literatur

bei den Autoren vorhanden.

Diese Webseite verwendet Cookies. Durch die Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Datenschutzinformationen
loading