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Urininkontinenz bei jungen Frauen – eine Rarität?

Wenn wir über das Thema Urininkontinenz hören oder lesen, denken wir alle vermutlich in erster Linie an ­perimenopausale oder postmenopausale Frauen, bei denen die Menopause die Inkontinenz verschlimmert oder ausgelöst hat. Aber sind es tatsächlich nur ältere Frauen, die darunter leiden? Der folgende Artikel beleuchtet die Häufigkeit, Ätiologie und Therapie der Urininkontinenz bei jüngeren Frauen.

Inkontinenz – das hört sich nach Pflegeheim und ­Windeln für alte Menschen an. In der Tat tritt eine Blasenschwäche eher im fortgeschrittenen Alter auf, aber nicht ausschliesslich. Auch in jungen Jahren kann eine Blasenschwäche auftreten, je nach Ursache vorübergehend oder dauerhaft. Der unfreiwillige Verlust von Urin ist dabei eine große persönliche und soziale Belastung für Betroffene: Sport wird sein gelassen, die Trinkmenge reduziert, soziale Kontakte aus Angst vor nassen Flecken oder Geruch sein gelassen.

Häufigkeit

Haben wir aus früheren Daten angenommen, dass ca. 2 % der 20-Jährigen unter einer Urininkontinenz leiden, wissen wir aus neueren Daten, dass es viel mehr sind: Eine australische Studie (1) mit 8457 Teilnehmerinnen fand eine Häufigkeit von 11.7 % von Frauen, die angegeben haben, inkontinent zu sein, das ist deutlich mehr als ansonsten angenommen.

Insgesamt gibt es folgende Differenzialdiagnosen:

  • angeborene Fehlbildungen (Harnblase, Harnröhre, Harnblasenschließmuskel) mit meistens primärer Inkontinenz
  • Zystitiden
  • Vorerkrankungen wie Herzinsuffizienz, Störungen der Schilddrüse oder Diabetes mellitus
  • bestimmte Medikamente (z. B. Beruhigungsmittel und Antidepressiva) oder Substanzen (z. B. Koffein, Alkohol, Drogen)
  • psychische Probleme, Stress oder Traumata
  • Übergewicht

In der diskutierten Studie waren die inkontinenten Personen im Schnitt sieben Kilogramm schwerer als ihre kontinenten Vergleichspersonen, Frauen mit einer höheren Schulbildung hatten signifikant weniger Inkontinenz.

Parität, hoher Stresslevel und Nikotinabusus konnten hier als unabhängige Risikofaktoren für Inkontinenz identifiziert werden.

In der Sprechstunde dürfen wir auch nicht vergessen, dass bei Teenagern und jungen Frauen oft noch eine hormonelle Dysbalance mit unregelmässigen Zyklen und/oder ein relatives Östrogendefizit vorliegen kann, was eine Inkontinenz, z. B. die typische „Giggle-Inkontinenz“ begünstigen kann.

Analysen zeigen, dass junge Frauen im Gegensatz zu älteren eher Management-Strategien als Vermeidungsstrategien suchen, d. h. sich eher überlegen, welche Einlagen sie tragen sollten beim Sport, als beispielsweise Sport insgesamt zu vermeiden, was Hoffnung für die Zukunft gibt.

Therapien

Wie auch bei älteren Frauen – umso mehr bei jüngeren – sollte die konservative Therapie im Vordergrund stehen.

Eine professionell angeleitete Physiotherapie zur Beckenbodenrehabilitation und eine individuell angepasste Pessartherapie können hier die ersten Schritte bilden, Gewichtsreduktion anstreben, wann immer dies indiziert ist, und ein problemorientiertes Blasentraining unter Vermeidung blasenirritierender Stoffe wie Koffein, Tein, Kohlensäure und Alkohol.

Bei nie gebesserter, primärer Inkontinenz sollten ­bildgebende Abklärungen der ableitenden Harnwege und – je nach neurologischer Situation – der Lendenwirbelsäule/Sakrumbereiche stattfinden. In den meisten Fällen finden wir bei diesen Abklärungen keine Pathologie.

Möchten wir 20-Jährige bereits einer Inkontinenzoperation unterziehen? Lieber nicht, würde ich sagen, auf der anderen Seite finde ich es aber auch unfair, jungen Patientinnen die heute sehr effizienten Möglichkeiten vorzuenthalten, nur weil sie jung sind.

Sicher erfordert die Entscheidung für eine Operation unbedingt vorgängig die konservative Therapie.

Obwohl es einige Daten gibt, die problemlose Geburten nach Einlage von suburethralen Schlingen beschrieben haben, ist die aktuelle Empfehlung immer noch, nach erfolgreicher Inkontinenz- oder Senkungsoperation eine primäre Sektio zu empfehlen.

Angesichts der Datenlage denke ich, dass es in dieser Situation gerechtfertigt ist, transurethrale Injektionen wie beispielsweise mit Bulkamid® vorzuschlagen. Es gibt hinreichend Daten für die Sicherheit der Injektionen bei etwas geringerer Effizienz als bei Schlingenoperationen.

Alles in allem gilt aber zu bedenken, dass die Frauen, die jetzt 20 sind, noch eine Lebenserwartung von mehr als 60 Jahren haben, und es gibt keine Daten über Schlingenresultate oder Injektionen nach 60 Jahren, deswegen ist bei Operationen immer eine gute Aufklärungsarbeit und eher Zurückhaltung geboten.

Wir sollten aber realisieren, dass die Urininkontinenz nicht ausschliesslich ein Problem der älteren Frau ist, sondern dass auch viele Jüngere – mehr als 10 %!!! – bereits darunter leiden können und unser offenes Ohr dafür verdienen.

Literatur
1. Lamerton TJ, Mielke G, Brown W, Urinary incontinence in young women: Risk factors, management strategies, help ­seeking behaviour and perceptions of bladder control. Neuro­urol Urodyn 2020; 39:2284–92.

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