Iatrogene Azoospermie
Unser Patient hatte bereits einen Urologen konsultiert, welcher eine Hodenbiospie (TESE) empfohlen hatte! Nach genauer Anamnese zeigte sich jedoch, dass eine Hodenbiopsie nicht indiziert ist.
Er wurde 2010 in Melbourne aufgrund eines Kraniopharyngeoms an der Hypophyse operiert. Seither war er unter einer Substitutionstherapie mit Testosteron undecanoat i. m. 1 g (Nebido®) alle 12 Wochen und Euthyrox 150 mg pro Tag. Die Therapie wurde seit dem Zuzug in die Schweiz vor vier Jahren vom Hausarzt übernommen und weitergeführt. Eine Vorstellung in einer endokrinologischen Spezialsprechstunde hatte in der Schweiz nie stattgefunden.
Das Kraniopharyngeom ist ein benigner Tumor, bei welchem sich Embryonalzellen aus der Rathke-Tasche langsam vermehren. Die Rathke-Tasche ist eine Struktur aus der Embryonalentwicklung der Hypophyse, die sich normalerweise zurückbildet. Kraniopharyngeome treten bei Kindern und Erwachsenen auf und umfassen ungefähr 3–5 %, bei Kindern 5–10 % der Tumore innerhalb des Schädels. (3)
Über 90 % der Patienten haben bereits vor einer Operation eine vollständige oder partielle Hypophyseninsuffizienz. (4)
Aufgrund des verdrängenden Wachstums ist die chirurgische Entfernung meist die Therapie der Wahl. Es kann ein transkranieller oder ein transnasaler transsphenoidaler Zugang gewählt werden. Unser Patient wurde via transnasalem transsphenoidalem Zugang operiert.
Wir haben die Diagnostik der Azoospermie bei unserem Patienten wie in Tabelle 2 beschrieben komplettiert.
Ein zweites Spermiogramm bestätigte die Azoospermie. Die urologische Untersuchung war unauffällig. Laborchemisch waren LH und FSH unterhalb der Nachweisgrenze. Testosteron und TSH waren unter Substitution innerhalb des Normbereiches. Die restlichen Hypophysenachsen (ACTH, ADH, Prolaktin, Somatotropin) waren normwertig.
In dieser laborchemischen Konstellation gehen wir von einem partiellen Hypopituitarismus der thyreotropen und gonadotropen Achse aus.
Die Azoospermie resultierte somit aus dem hypogonadotropen Hypogonadismus und der daraus resultierenden fehlenden Stimulation der Leydigzellen. Somit erübrigte sich die Hodenbiopsie in unserem Falle.
Ohne Kinderwunsch ist die Therapie der Wahl bei hypogonadotropem Hypogonadismus beim Mann die Testosterongabe. Diese kann mittels Injektionen, meist Depot-Injektionen, oder transdermal erfolgen.
Aufgrund des Kinderwunsches haben wir bei unserem Patienten eine Stimulation mit humanem Choriongonadotropin (HCG) und humanem Menopausengonadotropin (HMG) empfohlen (6). HCG bindet an die LH-Rezeptoren der Leydig-Zellen des Hodens und stimuliert so die Produktion des Testosterons, was die Spermatogenese fördert. HMG, insbesondere FSH, wirkt stimulierend auf die Tubuli- und Sertoli-Zellen.
Nach einer Kostengutsprache bei der Kasse haben wir im April 2021 mit der Therapie begonnen. Die Kasse hatte die Kosten für ein Jahr gut gesprochen. Die Testosteroninjektionen wurden drei Monate vor Beginn gestoppt.
Erfreulicherweise konnte bereits drei Monate nach Therapiebeginn im ersten Spermiogramm eine Spermaproduktion nachgewiesen werden, welche sich im Verlauf zu einer Normozoospermie entwickelte. Ebenfalls laborchemisch zeigten sich auch unter Stimulation mit HCG und HMG normwertige Testosteronwerte.
Wie ging es nun mit der Kinderwunschtherapie weiter?
Der Testzyklus der Partnerin war ovulatorisch. Die ovarielle Reserve war gut mit einem AMH von AMH 22.8 pmol/l resp. 3.19 µg/l, und der Antral Follicle Count lag bei 8+9. Laborchemisch zeigten sich positive Chlamydienserologien. An eine Chlamydieninfektion konnte sich die Patientin aber nicht erinnern. In der Kontrastmittelsonographie kam es nicht zum Eintritt von Kontrastmittel in die rechte Tube, somit bestand der Verdacht auf einen Tubenfaktor rechts. Chlamydieninfektionen führen typischerweise zu einem distalen Tubenverschluss mit Ausbildung einer Sactosalpinx. Eine Sactosalpinx war jedoch bei unserer Patientin sonographisch nicht darstellbar.
Ab dem Nachweis einer leichten Oligoasthenoteratozoospermie im September 2021 haben wir mit der Kinderwunschtherapie bei der Frau gestartet. Der Zyklus wurde mit rekombinantem FSH unterstützt und ein getimter Geschlechtsverkehr bei Follikel auf der rechten Seite und Insemination (IUI) auf der linken Seit durchgeführt. Leider kam es hierunter nicht zu einer Schwangerschaft.
Nach einem Jahr Stimulation wurden Spermien kryokonserviert und der Patient wieder mit Testosteronundecanoat-Injektionen substituiert.
Trotz normaler Testosteronwerte im Serum fühlte sich unser Patient unter der Stimulation energieloser als mit Testosteroninjektionen. Er wurde an eine endokrinologische Sprechstunde angebunden. Die im Verlauf gemessene Knochendichte war normal.
Erfreulicherweise wurde die Patientin nach einer künstlichen Befruchtung mit ICSI mit den kryokonservierten Spermien schwanger und gebar ein gesundes Mädchen.
Literatur
1. Cocuzza M. et
al., The epidemiology and etiology of azoospermia. Clinics (Sao Paulo). 2013;
68:15–26.
2. Fedder J. et al.,
Etiology of azoospermia in 100 consecutive nonvasectomized men. Fertil Steril.
2004; 82(5):1463–5.
3. Müller H.L.,
Craniopharyngioma. Endocrine reviews. 2014; 35:513–43.
4. Karavitaki N. et
al., Craniopharyngiomas in children and adults: systematic analysis of
121 cases with long-term follow-up. Clin. Endocrinol 2005; 62:397.
5. Takeshima T. et
al., Management of nonobstructive azoospermia: An update. Int J Urol. 2024;
3:17–24.
6. EAU Guideline
„sexual and reproductive Health“, https://uroweb.org/guidelines/sexual-and-reproductive-health