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Goodbye Sentinel?

Das stete Bestreben nach Deeskalation in der Therapie des Mammakarzinoms ist allgegenwärtig, so auch in der Axillachirurgie zur Senkung des Morbiditäts­risikos. Die Sentinellymphonodektomie (SLNE) ist das Standardverfahren beim klinisch nodal-negativen Mammakarzinom (cN0). Sie gibt Aufschluss über den Lymphknotenstatus, der bisher einer der wichtigsten Prognosefaktoren war. Aufgrund der zunehmend ­stärkeren Orientierung am biologischen Subtyp verliert der Lymphknotenstatus allerdings an Bedeutung für die Indikationsstellung der adjuvanten System­therapie. Mit den Ergebnissen der SOUND-Studie stellt sich nun sogar die Frage, ob und bei wem diese chirurgische Intervention überhaupt noch durchgeführt ­werden soll.

In den 1990er-Jahren wurde das Verfahren der SLNE beim Mammakarzinom etabliert (Abb. 1). Die damals revolutionäre Methode ermöglicht eine präzise Beurteilung des Lymphknotenstatus ohne die Notwendigkeit einer kompletten axillären Lymphknotendissektion (ALND), die mit deutlich höheren Risiken für schwerwiegende Nebenwirkungen einhergeht. Heute gilt die SLNE als Standardverfahren bei der Behandlung von Brustkrebs im Frühstadium. Auch wenn das Risiko für Lymphödeme, Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Schultergelenk bei der SLNE ­signifikant geringer ist als bei der ALND, bleibt es doch vorhanden.

Verzicht auf die axilläre Lymphknotendissektion (ALND) bei 1–2 positiven LK in der SLNE

Die Ergebnisse der ACSOG-Z0011-Studie (1) führten im Jahr 2011 zu einem Paradigmenwechsel in der Behandlung des Mammakarzinoms. Der Verzicht auf die ALND bei Frauen, die eine brusterhaltende Operation sowie eine adjuvante Strahlentherapie erhielten und ein bis zwei positive Sentinellymphknoten hatten, zeigte keinen negativen Effekt auf das Gesamtüber­leben und das Lokalrezidivrisiko im Vergleich zur ALND. Im Gegenzug konnte jedoch eine signifikante Verringerung der Morbidität in Bezug auf Lymph­ödem, Schmerzen und Bewegungseinschränkung gezeigt werden. Als Kritikpunkte der Studie sind unter anderem die mangelnde Stratifizierung nach Tumorbiologie sowie die nicht standardisierten Strahlen­therapieprotokolle zu nennen. Zudem wurden Patientinnen mit Mikrometastasen im Sentinel einbezogen, was schon zum damaligen Zeitpunkt keine zwingende Indikation für eine ALND mehr darstellte. Auch waren hauptsächlich (ca. 70 %) cT1-Tumore eingeschlossen worden. Die 10-Jahres-Daten der Z0011-Studie (2), die 2017 veröffentlicht wurden, bestätigten die Nicht-Unterlegenheit der alleinigen SLNE sowohl in Bezug auf das Gesamtüberleben als auch auf das rezidivfreie Überleben, sodass die bereits gängige Praxis des Weglassens der ALND bei 1–2 positiven Sentinellymphknoten bei Patientinnen mit einer brusterhaltenden Operation und anschliessender Radiotherapie weiter untermauert wurde.

Auch mit der Veröffentlichung der AMAROS-Studie (3) wurden Daten präsentiert, die die ALND in den Hintergrund drängten. Hier konnte gezeigt werden, dass die axilläre Strahlentherapie (Level I–IV) eine vergleichbare lokale Kontrolle des Tumors bietet wie die ALND, jedoch mit einem deutlich geringeren Risiko für Lymphödeme und andere Komplikationen.

Die im April 2024 veröffentlichten Daten der SENOMAC-Studie (4) konnten bestätigen, dass der Verzicht auf die ALND das krankheitsspezifische und Gesamtüberleben nicht beeinträchtigt. SENOMAC ist eine Nichtunterlegenheitsstudie, in der Patientinnen (n = 2540, darunter zehn Männer) mit cT1- bis cT3-Tumoren sowie 1–2 Makrometastasen in der SLNE (Metastasengrösse >2 mm in der grössten Ausdehnung) randomisiert wurden und entweder eine komplettierende ALND (n = 1205) erhielten oder nur die SLNE (n = 1335). Sowohl Patientinnen mit brusterhaltender Operation (63,8 %) als auch mit Mastektomie (36,2 %) wurden eingeschlossen. Die Ganzbrustbestrahlung nach brusterhaltender Operation war obligat. Circa 90 % der Patientinnen in beiden Armen erhielten ausserdem eine Radiotherapie der Lymphabflusswege. Das mediane Follow-up betrug 46,8 Monate. Bezüglich des rezidivfreien Überlebens zeigte sich zwischen beiden Gruppen kein Unterschied (89.7 % in SLNE-Gruppe vs. 88.7 % in der ALND-Gruppe). Das geschätzte 5-Jahres Gesamtüberleben lag in der SLNE-Gruppe bei 92.9 % und in der ALND-Gruppe bei 92.0 %.

Die SENOMAC-Studie bezog wichtige Subgruppen ein: Tumoren > 5 cm, ältere Patientinnen, Mastektomie als Operationsmethode, positive SLN mit extranodalem Wachstum und Männer. Sie stellt aktuell die beste Evidenzgrundlage für den Verzicht auf eine ALND bei 1–2 Makrometastasen in den Sentinellymphknoten dar.

Verzicht auf Sentinellymphonodektomie bei Tumoren 2 cm und cN0

Die Daten der SOUND-Studie (5) wurden 2023 erstmals auf der St. Gallen International Breast Cancer Conference präsentiert. Kurz darauf wurden sie im JAMA Oncology veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um eine prospektive, randomisierte Studie zur Nichtunterlegenheit des Verzichts auf eine SLNE. Die Tumorgrösse durfte bis zu 2 cm betragen. Der klinische Lymphknotenstatus musste cN0 (nach Palpation und obligatorischer präoperativer Axillasonographie) sein. Bei allen Patientinnen war eine brusterhaltende Operation geplant, eine adjuvante Bestrahlung war obligat. Als primärer Endpunkt wurde das fernmetastasenfreie Überleben festgelegt. 708 Patientinnen erhielten eine SLNE, bei 697 wurde auf eine axilläre Intervention verzichtet. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 5,8 Jahre. Die wichtigsten Patientencharakteristika waren: medianes Alter 60 Jahre, mediane Tumorgrösse 1,1 cm, etwa 18 % hatten einen G3-Tumor, die meisten (ca. 85 %) Patientinnen hatten einen ER-positiven und HER2-negativen Tumor. 98 % der Patientinnen wurden bestrahlt. Im SLNE-Arm wurden bei insgesamt 13,7 % der Patientinnen Lymphknotenmetastasen nachgewiesen.

Für Patientinnen, die eine SLNE erhielten, zeigte sich kein Vorteil im fernmetastasenfreien Überleben. Die axillären Rezidivraten lagen in beiden Gruppen bei < 1 %. Mit dem SOUND-Trial wurde die Nichtunterlegenheit des Weglassens der SLNE für dieses Patientinnenkollektiv gezeigt. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Patientinnen, die den Einschlusskriterien der SOUND-Studie entsprechen, eine axilläre Operation erspart werden kann, wenn das Fehlen der Information über den Lymphknotenstatus den postoperativen Behandlungsplan nicht beeinträchtigt. Da die Mehrheit der Patientinnen im SOUND-Trial postmenopausal war und ER+/HER2-Mammakarzinome hatte, unterstützt die Studie vor allem bei den älteren Patientinnen mit dieser Tumorbiologie die Sicherheit der Unterlassung einer axillären Operation. Sowohl die AGO als auch die ASCO haben die Ergebnisse der SOUND-Studie bereits in ihren Leitlinien aufgenommen.

Die onkologischen Daten der INSEMA-Studie (6) werden voraussichtlich auf dem San Antonio Breast Cancer Symposium 2024 präsentiert. Hier wurde ein dem SOUND-Trial ähnliches Studiendesign gewählt. Als Unterschied zur SOUND-Studie erfolgt bei der INSEMA-Studie eine Dokumentation der Strahlentherapiedosen in Brust und Axilla.

Axilläre Chirurgie beim klinisch nodal-positiven ­Mammakarzinom im neoadjuvanten Setting

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass im Falle einer Konversion von nodal-positiv vor einer neoadjuvanten Chemotherapie (NACT) zu nodal-negativ nach der NACT eine Targeted axillary dissection (TAD) ausreichend ist. Bei der TAD wird der biopsierte Lympknoten im Rahmen der Biopsie vor der NACT mit einem Clip oder einem radioaktiven Seed markiert und dann – zusätzlich zur SLNE – im Rahmen der Operation entfernt. Falls keine TAD durchgeführt wird, kann eine alleinige SLNE erfolgen, allerdings sollten hier mindestens drei Sentinels detektiert und exzidiert werden (7–10).

Wenn jedoch nach der NACT weiterhin residueller Tumor in den axillären Lymphknoten nachweisbar ist, ist die ALND nach wie vor das Standardverfahren.

Auch hier wird im Rahmen von Studien eine Deeskalation in Betracht gezogen. Die TAXIS-Studie (11) untersucht eine weitere Deeskalation durch fokussierte Axillachirurgie (tailored axillary surgery = TAS). Bei der TAS werden beim nodal-positiven Mammakarzinom neben dem im Rahmen der LK-Biopsie markierten Lymphknoten, die Sentinellymphknoten und ­palpatorisch auffällige Lymphknoten gezielt entfernt. Falls sich im Rahmen der TAS ein Lymphknotenbefall zeigt, werden die Patientinnen in zwei Gruppen randomisiert. Die eine Gruppe erhält das Standardverfahren mittels ALND, während bei der anderen Gruppe keine weitere operative axilläre Intervention durchgeführt wird, sondern eine axilläre Radiotherapie. Die TAXIS-Studie schliesst Patientinnen mit positiven Lymphknoten nach einer NACT ein, aber auch nodal-positive Patientinnen, welche primär operiert werden.

Zusammenfassung

Der Verzicht auf die ALND bei Patientinnen mit Mammakarzinom im Frühstadium (mit klinisch negativen Lymphknoten, brusterhaltender Operation und 1–2 Makrometastasen in der SLNE) hat seit der Veröffentlichung der Daten der Z0011- und AMAROS-Studien Einzug in den klinischen Alltag gefunden. Die Daten der SENOMAC-Studie untermauern die Aussage, dass die alleinige SLNE bei Patientinnen mit Mammakarzinom im Frühstadium und den oben genannten Kriterien der ALND nicht unterlegen ist. Zudem konnte mit der SENOMAC-Studie gezeigt werden, dass das Weglassen der komplettierenden ALND auch auf Patientinnen mit einer Mastektomie übertragen werden kann.

Durch die stärkere Orientierung am biologischen Subtyp hat der Nodalstatus für die Indikationsstellung der adjuvanten Systemtherapie an Bedeutung verloren. Mit der Veröffentlichung der SOUND-Studie wird das vollständige Weglassen chirurgischer Massnahmen in der Axilla bei bestimmten Patientinnengruppen (insbesondere ältere Patientinnen über 70 Jahre, Tumorgrösse ≤ 2 cm, klinisch und sonographisch nodal-negativ, Hormonrezeptor-positiv) zunehmend Realität werden. Eine axilläre Operation kann diesen Patientinnen erspart werden, wenn das Fehlen der Information über den Lymphknotenstatus den postoperativen Behandlungsplan nicht beeinträchtigt. Die Entscheidung zum Weglassen der SLNE sollte stets im Rahmen eines präoperativen, interdisziplinären Tumorboards getroffen werden.

Die wenigen noch bestehenden Indikationen für eine ALND sind in Abbildung 2 zusammengefasst.

Insbesondere nach neoadjuvanter Systemtherapie bleibt es spannend und wir werden in Zukunft sehen, ob bei Patientinnen, die initial positive Lymphknoten (cN1) hatten und nach der neoadjuvanten Therapie weiterhin positive Lymphknoten (ypN+) aufweisen, die weniger invasive „tailored axillary surgery“ (TAS) die ALND ersetzen kann. Aktuell laufende Studien, wie die TAXIS-Studie, untersuchen diese Fragestellung und könnten möglicherweise zu einer weiteren Deeskalation der axillären Chirurgie führen. Ein Algorithmus, der den aktuellen Stand der Axillachirurgie zusammenfasst, ist in Abbildung 3 aufgeführt.

Literatur
1. Giuliano, A.E. et al.; Axillary dissection vs no axillary dissection in women with invasive breast cancer and sentinel node metastasis: A randomized clinical trial. 2011. JAMA, 305(6), pp. 569-575. Available at: https://doi.org/10.1001/jama.2011.90.
2. Giuliano, A.E. et al.; Updated results of the ACOSOG Z0011 trial. 2017. JAMA, 318, pp. 918–26. Available at: https://doi.org/10.1001/jama. 2017.11470.
3. Donker, M. et al.; Radiotherapy or surgery of the axilla after a positive sentinel node in breast cancer (EORTC 10981-22023 AMAROS): A randomised, multicentre, open-label, phase 3 non-inferiority trial. 2014. Lancet Oncology, 15(12), pp. 1303–10. Available at: https://doi.org/10.1016/S1470-2045(14)70460-7.
4. de Boniface, J. et al.; Omitting axillary dissection in breast cancer with sentinel-node metastases. 2024. New England Journal of Medicine, 390(13), pp. 1163–75. Available at: https://doi.org/10.1056/NEJMoa2313487.
5. Gentilini, O.D. et al.; Sentinel lymph node biopsy vs no axillary surgery in patients with small breast cancer and negative results on ultrasonography of axillary lymph nodes: The SOUND randomized clinical trial. 2023. JAMA Oncology. Advance online publication. Available at: https://doi.org/10.1001/jamaoncol.2023.XXX.
6. Reimer, T. et al.; Patient-reported outcomes for the Intergroup Sentinel Mamma study (INSEMA): A randomised trial with persistent impact of axillary surgery on arm and breast symptoms in patients with early breast cancer. 2023. eClinicalMedicine, 55, 101756. Available at: https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2023.101756.
7. Caudle, A. S., et al.; Improved Axillary Evaluation Following Neoadjuvant Therapy for Patients With Node-Positive Breast Cancer Using Selective Evaluation of Clipped Nodes: Implementation of Targeted Axillary Dissection. 2016. J. Clin. Oncol. 34, 1072–8.
8. Kuehn T et al.; Sentinel-lymph-node biopsy in patients with breast cancer before and after neoadjuvant chemotherapy (SENTINA): a prospective, multicentre cohort study. 2013. Lancet Oncol.14:609–18.
9. Boughey JC et al.; Identification and Resection of Clipped Node Decreases the False-negative Rate of Sentinel Lymph Node Surgery in Patients Presenting With Node-positive Breast Cancer (T0–T4, N1–N2) Who Receive Neoadjuvant Chemotherapy: Results From ACOSOG Z1071 (Alliance). 2016. Ann. Surg. 263: 802–7.
10. Donker et al.; Marking Axillary Lymph Nodes With Radio­active Iodine Seeds for Axillary Staging After Neoadjuvant Systemic Treatment in Breast Cancer Patients. The MARI ­Procedure. 2015. Ann. Surg. 261, 378–82.
11. Weber WP et al.; Tailored axillary surgery in patients with ­clinically node-positive breast cancer: Pre-planned feasibility substudy of TAXIS (OPBC-03, SAKK 23/16, IBCSG 57-18, ABCSG-53, GBG 101). 2021, Breast. 60: 98-110.doi: 10.1016/j.breast.2021.09.004.

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