Verzicht auf Axilladissektion bei Sentinel-Node-Metastasen / PARP-Inhibitoren bei Ovarialkarzinom / Hämorrhagische Zystitis / Bitte Platz nehmen! / Nachsorgeintervalle nach frühem Zervixkarzinom
Im SENOMAC Trial wurde untersucht, ob bei Patientinnen mit klinisch nodal-negativem Mammakarzinom im Stadium T1 bis T3 mit ein oder zwei Makrometastasen im Sentinel auf eine komplettierende Axilladissektion verzichtet werden kann. Die Patientinnen wurden in einer 1:1 Ratio randomisiert: entweder erhielten sie eine axilläre Lymphonodektomie (ALND) oder es wurde auf die Komplettierung verzichtet (alleinige Sentinellymphonodektomie, SLNE). Alle Patientinnen erhielten adjuvante Therapien und Radiotherapie gemäss nationaler Guidelines. Sowohl Patientinnen mit brusterhaltender Operation als auch mit Mastektomie wurden in den Trial aufgenommen. Als primärer Endpunkt wurde das Gesamtüberleben (OS) angeschaut. Sekundärer Endpunkt war das rezidivfreie Überleben.
Gesamthaft wurden 2766 Patientinnen eingeschlossen, die Per-Protokoll-Gruppe umfasste 2540 Patientinnen: 1335 erhielten eine alleinige SLNE, 1205 erhielten die komplettierende ALND. In der SLNE-Gruppe erhielten 89.9 % und in der ALND-Gruppe 88.4 % eine Radiotherapie inkl. regionalem Lymphabfluss. Das mediane Follow-up lag bei 46.8 Monaten. 191 Patientinnen hatten ein Rezidiv oder verstarben. Das 5-Jahres rezidivfreie Überleben lag bei 89.7 % (95 % CI, 87.5–91.9) in der alleinigen SLNE-Gruppe und bei 88.7 % (95 % CI, 86.3–91.1) in der ALND-Gruppe. Die Nicht-Unterlegenheit der alleinigen SLNE konnte damit klar gezeigt werden. Dies galt auch für alle vordefinierten Subgruppen (wie z. B. Patientinnen mit Mastektomie) (Jana de Boniface et al. Omitting Axillary Dissection in Breast Cancer with Sentinel-Node Metastases. N Engl J Med 2024;390:1163–75, doi: 10.1056/NEJMoa2313487).
Kommentar
Im SENOMAC Trial konnte
klar gezeigt werden, dass bei Patientinnen mit klinisch nodal-negativem
Brustkrebs mit 1–2 Makrometastasen der Verzicht auf eine komplettierende ALND
der ausgedehnteren Axilladissektion nicht unterlegen war. Wichtig ist, dass
knapp 90 % der Patientinnen eine adjuvante Radiotherapie mit Einschluss der
regionalen Lymphabflusswege erhielten.
Zu dieser Thematik gab
es bisher schon einige Trials (der wichtigste: ACOSOG Z0011 Trial, Giuliano AE
et al., 2017), die aber alle statistische Schwächen aufwiesen oder hinsichtlich
der angewendeten Art der adjuvanten Radiotherapie keine klaren Aussagen treffen
konnten. Auch Subgruppen (wie z. B. Patientinnen, die eine Mastektomie
erhielten, oder Betrachtung des extrakapsulären Wachstums der LK-Metastasen)
waren bisher zahlenmässig klein oder gar nicht vertreten.
Mit dem statistisch
sauber konzipierten SENOMAC Trial können nun diese bisher bestehenden Unsicherheiten
ausgeräumt werden.
Cornelia Leo
In einer Subanalyse der PRIMA/ENGOT-OV26/GOG-3012-Studie wurden nun Daten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität (health related quality of life, erfasst mit standardisierten Fragebögen) veröffentlicht. Die PRIMA-Studie, von der wir ebenfalls bereits in dieser Zeitschrift berichtet haben, untersuchte die adjuvante Gabe des PARP Inhibitors Niraparib bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom und hatte die Wirksamkeit des Präparates bestätigt.
Die Patientinnen wurden im Laufe der Therapie zu potenziellen Nebenwirkungen und zur Lebensqualität befragt. In der Analyse zeigte sich keine Verschlechterung der Lebensqualität unter dem Studienpräparat. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Fatigue, Appetitlosigkeit und Obstipation wurden unter dem Studienpräparat verstärkt beobachtet. Diese Nebenwirkungen führten jedoch nicht zu einer signifikanten Abnahme der Lebensqualität. Zudem nivellierten sich diese Unterschiede im Nebenwirkungsspektrum zwischen Placebo und Studienmedikament grösstenteils innerhalb des ersten Behandlungsjahres. Lediglich Obstipation war auch über das erste Jahr ein häufigeres Problem unter Niraparib (Pothuri B et al., Gyn Oncol 2024;184: 168–77).
Kommentar
Dass PARP-Inhibitoren
die Therapielandschaft des Ovarialkarzinoms massgeblich verändert haben, ist
unbestreitbar. Bei allen positiven Ergebnissen der Studien zu Überlebensdaten
spielen jedoch gerade bei mehrjährigen Erhaltungstherapien das langfristige
Nebenwirkungsspektrum und die Lebensqualität eine herausragende Rolle –
insbesondere bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom. Deshalb
sind Analysen wie die vorliegende extrem wichtig. Sie bestätigen, dass die
Erhaltungstherapie mit einem PARP Inhibitor eine gute Option für unsere
Patientinnen darstellt, auch in puncto Lebensqualität.
Martin Heubner
Wir kennen es alle aus der Sprechstunde: Patientinnen mit hämorrhagischer Zystitis. Ein Artikel hat sich mit einer Spezialgruppe auseinandergesetzt, der hämorrhagischen Zystitis nach Strahlentherapie oder Chemotherapie, die im Extremfall zu lebensbedrohlichen Blutungen führen können.
Die Inzidenzraten variieren von 11.1 % nach Tumoren und Strahlentherapie im Beckenbereich (Zervix-Ca 3–6.7 %, Prostata Ca 11.1 %, Harnblase 2–10 %) und bis 18 % nach systemischer Cyclophosphamid- oder Ifosphamidtherapie, und ätiologisch kommt eine Störung des Urothels infrage.
Der Onset der Erkrankung kann entweder unmittelbar nach Therapie oder viele Jahre später auftreten.
Risikofaktoren für das Auftreten sind eine hohe Strahlendosis und eine grosse bestrahlte Fläche, z. B. bei Blasentumoren (Li KD Jones CP Hakam N Erickson BA Vanni AJ Chancellor MB Breyer BN Hemorrhagic cystitis: a review of managment strategies and emerging treatments BJU Int 2023, Dec; 132 (6): 631–637).
Kommentar
Der Artikel betont die
Wichtigkeit einer sorgfältigen Aufarbeitung der Fälle mit hämorrhagischer
Zystitis, dies vor allem, um Karzinome oder Steinerkrankungen auszuschliessen.
Der Artikel fasst die
Krankheitsentstehung und Häufigkeit der hämorrhagischen Zystitis sehr gut und
übersichtlich zusammen und spricht verschiedene Behandlungsziele an. Da es
keine Standardbehandlung gibt, werden verschiedene Behandlungsaspekte wie
Fulguration, hyperbare Sauerstofftherapie, Botoxinjektionen und andere
intravesikale Therapien beleuchtet.
Diese Therapien haben in
Kohortenstudien kurzfristige Effizienz gezeigt, Therapieansätze zur Prävention
und Rezidivprophylaxe fehlen.
Innovative
Therapieformen wie liposomales Tacrolimus werden aktuell evaluiert, eine
kollegiale Zusammenarbeit mit der Urologie ist obligat.
Annette Kuhn
Was Anlass gab zu einer randomisierten Studie, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Im „Visual Abstract“ (Abb. 1) ist alles Wesentliche dargestellt.
In einem texanischen Spital wurde ohne Wissen der Ärzteschaft randomisiert, entweder ein Stuhl vor dem Bett (60 Ärzte) oder etwas „versorgt“ aufgestellt. (Kontrollgruppe, 65 Ärzte) (Abb. 2)
38 von 60 Ärztinnen in der Stuhlgruppe setzen sich, aber nur fünf von 65 in der Kontrollgruppe (P <0.001). Die Zufriedenheit-Scores der Pat. (TAISCH) waren bei der Sitzgruppe höher, obwohl die Visiten in beiden Gruppen mit durchschnittlich 10.6 Minuten gleich lang waren. (Layer, R. et al.: BMJ 2023;383 doi:https://doi.org/10.1136/bmj-2023-076309)
Kommentar
Diese Intervention
gehört in den Bereich des derzeitigen „In-Begriffs“ „Nudging“, das heisst
jemanden zu einer Handlung anstupsen (Stuhl direkt vors Bett stellen), damit
die Ärzteschaft absitzt.
Das übergeordnete Thema
heisst, so meine ich, Empathie im Spital. Man darf sich auch einmal erlauben,
auf den Bettrand zu sitzen (Achtung: Hygieniker-Alarm!) oder seinen Arm auf den
der Patientin zu legen. Auf so einfache Art menschliche Nähe zu schaffen, ohne
aufdringlich zu werden, verbessert – das ist wissenschaftlich
untermauert – die Kommunikation zwischen Pat. und Arzt. Das mag nicht für
alle Kulturen gelten, aber sicher für unsere. Nonverbale Kommunikation
(Nonverbal ist z. B. Augenkontakt, Modulation der Stimme Haltung etc.) lehren
und dann auch anwenden. Immerhin soll die nonverbale Kommunikation auch beim
Mensch 80 % der interpersonalen Kommunikation ausmachen (Littlejohn, S.W.,
Foss, K.A. Encyclopedia of Communication Theory. Sage 209,
ISBN-13:978-14129593770).
Die vorliegende
Studie: Ein Reminder für das, was sogenannt Kleines bewirken kann: ad
repetandum!
Michael K. Hohl
Frühe Zervixkarzinom (Stadien 1A1 und 1A2) werden rein chirurgisch durch Konisation oder Hysterektomie therapiert. Dass die Prognose in diesen Frühstadien sehr günstig ist, war bekannt. In einer britischen Studie wurde nun untersucht, welche Befunde in der Nachsorge von 98 Patientinnen erhoben werden. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug elf Jahre, innert derer insgesamt 510 zytologische Abstriche entnommen wurden. Von diesen zeigten lediglich sieben Auffälligkeiten (5 LSIL, 2 HSIL). Es wurden keine invasiven Tumorrezidive detektiert. Die Autoren schlussfolgern, dass die Intensität der Nachsorge bei diesen Patientinnen durchaus reduziert werden könnte (Ashmore AA et al., Eur Jour Obst&Gyn and Reprod Biol 2024; 296:307–10).
Kommentar
Die Studie bestätigt die
sehr gute Prognose nach chirurgischer Exzision eines Frühkarzinoms mit einem
sehr langen Nachbeobachtungszeitraum. Die Nachsorge kann nach diesen
Ergebnissen sicher liberaler gestaltet werden, allerdings sollten wir uns auch
vor Augen halten, was die Ziele der onkologischen Nachsorge sind. Neben der
Detektion von allfälligen Rezidiven und Zweittumoren (z. B. Vulvakarzinom) sind
auch das Erkennen und die Behandlung von Therapiefolgen (medizinisch, z. B.
CK-Stenosen, aber auch psychosozial) wichtige Aspekte, die nicht
vernachlässigt werden sollten. Viele Patientinnen sind froh um eine
engmaschige Begleitung, die ihnen ein Gefühl der Sicherheit gibt.
Martin Heubner