Phytotherapie: Mythen oder Wahrheit?

Im letzten Editorial haben wir die sogenannte „Alternativmedizin“ kurz beleuchtet – Phytotherapie möchte keine Alternative, sondern eine sinnvolle Ergänzung zur Schulmedizin bieten, und die Akzeptanz seitens der Patientinnen ist sehr gross.

Im letzten Editorial haben wir die sogenannte „Alternativmedizin“ kurz beleuchtet – Phytotherapie möchte keine Alternative, sondern eine sinnvolle Ergänzung zur Schulmedizin bieten, und die Akzeptanz seitens der Patientinnen ist sehr gross.

Häufige gynäkologische Beschwerden wie Wechseljahresbeschwerden, Dysmenorrhoe oder Zyklusunregelmässigkeiten können auch oder zusätzlich mit Phytotherapie behandelt werden. Der folgende Artikel wird verschiedenste Aspekte der Phytotherapie und deren Anwendungsmöglichkeiten beleuchten.

Phytotherapie ist die Heilung, Linderung und Vorbeugung von Krankheiten und Beschwerden durch Arzneipflanzen oder deren Teile wie z. B. Blüten, Wurzeln oder Blätter oder Zubereitungen aus Arzneipflanzen (Öle, Trockenextrakte, Tinkturen, Presssäfte).

Jahrtausendaltes überliefertes Wissen, Monographien, aktuelle evidenzbasierte Forschung und der Wunsch der Bevölkerung nach komplementären, integrativen Behandlungsansätzen sind Grund genug, sich mit der Phytotherapie auseinanderzusetzen. Die bedrohliche Zunahme von Antibiotikaresistenzen, die Belastung der Umwelt und die Kostenexplosion im Gesundheitssystem bedürfen neuer Denkansätze. Der integrative Ansatz der Phytotherapie kann und sollte vermehrt in der Schulmedizin verankert sein. Wirksame Pflanzenheilkunde kann alleine, aber auch sehr gut in Kombination mit der Schulmedizin angewendet werden. Dadurch lassen sich Nebenwirkungen, Resistenzen und Kosten im Gesundheitssystem vermindern.

Mit dem Satz: „Es ist gegen alles ein Kraut gewachsen“, versucht das Thema dieser Ausgabe, einen Blick auf phytotherapeutische Behandlungswege bei typischen Frauenleiden aufzuzeigen. So gross wie das Fachgebiet der Gynäkologie und Geburtshilfe, so gross wäre auch das Indikationsgebiet für die Phytotherapie, sodass hier nur eine kleine Auswahl getroffen werden konnte, auch um dem Wunsch nach guter Recherche nachzukommen.

Therapeutisch können Tee-Mischungen, Urtinkturen und Fertigarzneimittel zum Einsatz gelangen. Was nicht als Fertigarzneimittel bezogen werden kann, stellen Apotheken, insbesondere SMGP-Phyto-Referenzapotheken, per Magistralrezept (Abb. 1) her. Sofern die in der Rezeptur verwendeten Präparate, Wirk- und Hilfsstoffe in der ALT (Arzneimittelliste mit Tarif) gelistet sind, kann über die Basisversicherung der Krankenkasse abgerechnet werden. Diese Befugnis hat jeder Arzt oder jede Ärztin mit dem Arztdiplom erworben. Leider wird davon ausserhalb der Komplementärmedizin viel zu wenig Gebrauch gemacht.

Frauen mit klimakterischen Beschwerden, allen voran Hitzewallungen, fragen immer wieder nach nicht-hormonellen Therapiemöglichkeiten. Da bei Frauen mit hormonsensitiven Tumorleiden, allen voran das Mammakarzinom, Hormonersatztherapien grundsätzlich nicht zugelassen sind, können diese Patientinnen von phytotherapeutischen Therapiekonzepten profitieren. SSRI (Antidepressiva) werden ebenfalls zur Reduktion der Hitzewallungen (30–60 %) alternativ von der Schulmedizin eingesetzt. Frauen möchten aber ungern unter einem Antidepressivum stehen und des Weiteren befürchten sie unerwünschte Nebenwirkungen auf ihr Sexualleben, welches möglicherweise bereits durch die Grundkrankheit negativ beeinflusst wird.

Diese von der Autorin (GO) erarbeitete phytotherapeutische Fachempfehlung bzgl. Hitzewallungen stellt einige der aktuell zur Verfügung stehenden pflanzlichen Arzneimittel praxisrelevant vor.

Anders als in der Schulmedizin, die vorwiegend mit Einzelsubstanzen arbeitet, kommen in der Phytotherapie Vielstoffgemische in Form von Extrakten aus ganzen Pflanzenteilen zum Einsatz. Diese zeichnen sich im Allgemeinen durch eine breite pharmakologische Wirkung, eine hohe Sicherheit und wenig Nebenwirkungen und Interaktionen aus. So kann eine Wirkverstärkung ohne wesentliche Nebenwirkungen durch Synergien verschiedener Präparate erzeugt und genutzt werden.

Reduziert zum Beispiel die Traubensilberkerze die Frequenz der Wallungen, aber ungenügend das nasse Schwitzen, so kann durch Ergänzung mit Salbei syn (mit) ergo (Arbeit) eine Wirkverstärkung erzeugt werden. Im Sinne von Aristoteles: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“

Zunächst ein detaillierter Einblick in die Phytotherapie am Beispiel der Traubensilberkerze (Tabelle. 1).

Weitere Möglichkeiten bei Hitzewallungen zeigt Tabelle 4.

Phytotherapie kann effektiv, sicher und nebenwirkungsarm bei Hitzewallungen eingesetzt werden. Teilweise gibt es bereits repräsentative Studien auf einem hohen Evidenzlevel. Zu einigen vielversprechenden Pflanzenwirkstoffen kann noch keine endgültige Beurteilung abgegeben werden, da hier die Studienlage ungenügend ist.

Hitzewallungen werden häufig von weiteren ­klimakterischen Beschwerden wie Stimmungsschwankungen, Ängstlichkeit, Stress, Libidoverlust und Schlafstörungen begleitet. Bei der Durchsicht der Literatur fiel immer wieder auf, dass die Probandinnen teilweise weniger eine Reduktion der Hitzewallungen, dafür aber positive Effekte bezüglich anderer menopausaler Beschwerden erfuhren. Ein gesamtheitlicher Ansatz bei klimakterischen Beschwerden umfasst neben dem Kardinalssymptom viele andere Bereiche. Es ist daher sinnvoll, Phytotherapeutika zu kombinieren und so Synergien zu nutzen. Mag der Hopfen oder der Leinsamen alleine nicht den gewünschten Erfolg bringen, so können beide ergänzend zum Beispiel zur Traubensilberkerze durchaus unterstützend und regulierend wirksam sein.

Betrachtet man den Plazeboeffekt in den Studien, so lag dieser oft bei 25–50 %. Alleine das ärztliche Gespräch, die eigene Überzeugung, trägt bekanntlich zur Wirksamkeit der Therapie bei.

Wir werden zu einigen Pflanzenwirkstoffen auch zukünftig keine grossen Studien erwarten können. Dennoch wurden sie über Jahrhunderte in der Volksmedizin überliefert und erfolgreich angewendet. Es gilt sicher umsichtig zu sein und Effizienz, Risiken und Nebenwirkungen gegeneinander abzuwägen.

Einige Hotspots aus bewährter Praxis
Primäre Dysmenorrhoe (siehe Abb. 1)
Diese Pflanzenkombination hat sich bei jungen Frauen bewährt. Einnahme: Fünf Tage vor der erwarteten Menstruation starten und bis zum Ende der Menstruation 1- bis 3× tgl. 20 Tropfen direkt auf die Zunge oder mit etwas Wasser einnehmen und einspeicheln.

Endometriose
Könnte eine Krankheit der Gynäkologie als Krankheit des Jahres, besser des Jahrzehnts bestimmt werden, so wäre es wohl die Endometriose. Dieses Chamäleon bzgl. Symptomen und vielfältiger Erklärungsansätze bzgl. Genese steht aktuell sehr im Fokus der (Fach-)Gesellschaft, der Social Media und der Forschung.

Die Therapie wirkt über (siehe Abb. 5):

  • Hemmung der ante- und retrograden Menstruation
  • Verringerung der Proliferation und der Inflammation
  • Schmerzlinderung

Lifestyle- und Ernährungsanpassungen sind unabdingbar.

Prämenstruelles Syndrom (PMS), Prämenstruelle dysphorische Störung (PMDS)
Bestens evidence-based erforscht in der Behandlung des PMS ist der Vitex agnus-castus (Mönchspfefferfrüchte). Stimmungsschwankungen und Mastodynie in der zweiten Zyklushälfte bessern sich aufgrund seines progesteronstabilisierenden und neurotransmitterähnlichen Wirkspektrums. Das komplexe Bild eines PMS/PMDS kann mithilfe spezifischer Fragebögen aufgegleist werden. Entsprechend des Beschwerdebildes können verschiedene Pflanzenwirkstoffe in einer Urtinkturenmischung oder mittels Fertigpräparaten zusammengestellt werden.

Fortbildungsmöglichkeiten zum Thema Phytotherapie bietet die Schweizerische Medizinische Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP – www.smgp-sspm.ch) an. (Abb. 9)

Fazit
Phytotherapie ist evidenzbasierte Therapie, die ihren Platz in der gynäkologischen Praxis haben sollte!

Literatur bei der Autorin erhältlich!

Dr. med. Gesa Otti-Rosebrock
Fachärztin FMH für Gynäkologie und Geburtshilfe
Phytotherapeutin mit Fähigkeitsausweis (SMGP)
Gartenstrasse 39
CH-2503 Biel
g.or@praxisfrauenmedizin-biel.ch

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