Krebs und Kinderwunsch II: Aspekte der Fertiprotektion

In der Schweiz erkranken jährlich ca. 43 000 Patientin neu an Krebs, hiervon sind etwa 3 % unter 40 Jahre alt (1). Sicherlich steht die Behandlung der onkolo­gischen Erkrankung im Vordergrund. Dank den verbesserten onkologischen Therapien und den stetig verbesserten Überlebensraten kann jedoch der Kinderwunsch zu einem späteren Zeitpunkt in den Fokus geraten. Eine gute Vernetzung der Disziplinen, bestehend aus Onkologen, Gynäkologen, Pädiatern, Hämatologen, Urologen und Reproduktionsmedizinern, ist wichtig, damit die Patientinnen und Patienten zeitnah über fertiprotektive Massnahmen beraten werden können und eine allfällige Therapie schnell begonnen werden kann.

Voraussetzungen

Zu den Grundvoraussetzungen einer fertiprotektiven Therapie gehören, dass die Heilungswahrscheinlichkeit hoch, das Risiko einer Sterilität durch die onko­logische Therapie mittelhoch bis hoch ist und fertip­rotektive Massnahmen risikoarm und effektiv sind. Weiter sollten die Grunderkrankung und onkologische Therapie mit einer späteren Schwangerschaft ­vereinbar sein. Für die Durchführung einer fertiprotektiven Therapie wird, je nach Technik, ein Zeitfenster von einer halben bis zwei Wochen benötigt.

Erfreulicherweise werden seit Juli 2019 die Behandlungskosten für den Fertilitätserhalt von den Schweizer Krankenkassen übernommen. Voraussetzungen sind, dass eine gonadotoxische Therapie mit einem Risiko von einer behandlungsinduzierten, persistierenden Amenorrhö/Azoospermie von über 20 % einhergeht und die Patientinnen postpubertär sind sowie das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die Fertiprotektion von Kindern vor der Pubertät wird nicht rückerstattet.

Am häufigsten erfolgt eine Beratung bei Patientinnen mit Mammakarzinom, gefolgt von Lymphomen.

Techniken

Ovarielle Stimulation und Kryokonservierung von ­unfertilisierten oder fertilisierten Oozyten

Um eine ovarielle Stimulation durchzuführen, sollten etwa zwei Wochen bis zum Beginn der Chemotherapie zur Verfügung stehen. Weiter sollte die ovarielle Reserve ausreichend sein, um eine genügende Anzahl von Oozyten entnehmen zu können, und der Gesundheitszustand der Patientin muss eine gefahrlose Stimulation und Oozytenentnahme erlauben.

Die ovarielle Stimulation und das Vitrifizieren von Oozyten (Abb. 1), fertilisierten Oozyten (Zygoten, Abb. 2) oder Embryonen ist eine etablierte Methode, wofür reproduktionsmedizinische Zentren eine gute Expertise haben und sie über die erforderliche Infrastruktur verfügen. Der Beginn der Stimulation kann unabhängig von der Phase des Menstruationszyklus’ erfolgen. Optimalerweise sollten 15–20 Oozyten kryokonserviert werden. Die Chance, mit den kryokonservierten Oozyten schwanger zu werden, wird hauptsächlich vom Alter der Patientin bei der Kryokonservierung beeinflusst.

Eine Sondersituation stellt das hormonrezeptorpositive Mammakarzinom dar, da hormonsensitive Tumorzellen durch die hochdosierte Gonadotropinstimulation proliferieren können. Um den Estradiolanstieg zu reduzieren, wird parallel zur Stimulation ein Aromatasehemmer verabreicht.

Bei Patientinnen in fester Partnerschaft besteht die Möglichkeit, die gewonnenen Eizellen zu befruchten und als Zygote oder Blastozyste (Abb. 3) einzufrieren. Gemäss Schweizer Gesetz werden Zygoten und Embryonen, die nach IVF/ICSI erzeugt werden, als gemeinsames Eigentum beider Partner angesehen. Nach einer Trennung oder Tod des Partners hat die Patientin keinen Anspruch mehr auf die Embryonen. Um somit die Autonomie über ihre Fertilität zu behalten, wird die Kryokonservierung der Oozyten empfohlen.

Kryokonservation und Retransplantation von Ovargewebe

Die Kryokonservation von Ovarialgewebe, selten ganzer Ovarien, stellt eine weitere Option der Fertiprotektion dar. Hierzu wird meist laparoskopisch Ovarialgewebe entnommen und in Ovarialstreifen eingefroren. Die Entnahme kann zyklusunabhängig erfolgen, und für die Planung und den Eingriff werden in der Regel nur wenige Tage benötigt. Es kommt somit nicht zu einer Verzögerung des Starts der Chemotherapie.

Das Ovarialgewebe wird später im Falle einer vorzei­tigen Ovarialinsuffizienz reimplantiert und es kann auch die endokrinologische Situation einer fertilen Frau wiederhergestellt werden.

Das Ovarialgewebe kann ins Beckenperitoneum, in die subpertitoneale Abdominalwand, in das Ligamentum latum uteri oder das orthotope Ovar reimplantiert werden. Die Angehrate ist hoch und liegt bei 85–90 %. Diese Zahlen entsprechen auch unseren eigenen Erfahrungen. Die Geburtenrate liegt nach erfolgreicher Reimplantation bei 23–31 % (3, 4). Die Schwangerschaften sind in ca. 65 % spontan entstanden und in 35 % nach assistierter Reproduktion. Ebenfalls sind mehrere Fälle beschrieben, in welchen die Patientin nach Retransplantation mehrere Kinder zur Welt gebracht hat, was auch für eine langfristige Wirksamkeit des Verfahrens spricht (5).

Bei der Reimplantation von Ovargewebe besteht das Risiko, dass maligne Zellen wiedereingeführt werden. Insbesondere bei Patientinnen mit Leukämie, Neuroblastom, Burkitt-Lymphom und Ovarialkarzinom liegt hierfür ein höheres Risiko vor, sodass wir in ­diesen Konstellationen die ovarielle Stimulation und Kryokonservierung von Oozyten bevorzugen.

Die Kryokonservation von Ovarien ist die einzige Möglichkeit der Fertiprotektion bei präpubertären Mädchen. Die Erfahrungen nach Reimplantation von Ovargewebe, welches vor der Pubertät entnommen wurde, sind jedoch sehr limitiert. Es sind Einzelfälle beschrieben, in welchen die Pubertät mittels Retransplantation induziert werden konnte (6, 7).

GnRH-Agonisten

Die GnRH-Agonisten führen nach einem initialen Flare-up-Effekt (Ausschüttung von LH und FSH) zur Downregulation der Hypophyse und zu einer funktionellen ovariellen Ruhe. Hiermit wird die Perfusion der Ovarien reduziert und somit auch der Effekt der gonadotoxischen Therapien. Die Patientin wird künstlich in die Wechseljahre versetzt. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass die Rate an Patientinnen mit prämaturer Ovarialinsuffizenz nach Gabe von GnRH-Agonisten vor Chemotherapie niedriger ist (2). Auch beim hormonrezeptorpositiven Mammakarzinom können GnRH-Agonisten ohne Risiko gegeben werden. Weiter können GnRH-Agonisten schwere und unregelmässige Blutungen bei hämatologischen Malignomen verhindern.

Aufgrund des Flare-up-Effekts sollte das GnRH-Depotpräparat mindestens 5–7 Tage vor Start der Chemotherapie verabreicht und je nach Präparat monatlich oder alle drei Monate wiederholt werden.

Die GnRH-Agonisten sind von der Kostenübernahme der Krankenkassen ausgenommen und sollten in der Fertiprotektion nicht alleinig zur Anwendung kommen.

Ovaropexie und Gonadenschutz vor Bestrahlung

Die Auswirkungen der Bestrahlung auf die Ovarien ist beachtlich. Eine Translokation der Ovarien aus dem Strahlungsfeld kann das Risiko einer radiogen induzierten Ovarialinsuffizienz reduzieren. Die Translokation erfolgt meist laparoskopisch und gleichzeitig könnte Ovargewebe für die Kryokonservierung entnommen werden. Die Erfolgsrate ist schwierig zu beziffern und insbesondere abhängig vom Alter der Frau und ob gleichzeitig eine Chemotherapie durch­geführt wurde.

Wir selbst haben mangels guter Indikationen keine Erfahrung mit dieser Methode sammeln können.

Fertilitätserhalt beim Mann

Die Kryokonservation von Spermien ist eine einfache, schnelle und kostengünstige Methode der Fertiprotektion bei postpubertären Männern, die seit vielen Jahren etabliert ist. Die Patienten sollten darüber informiert werden, dass die Verwendung der Spermien eine reproduktionsmedizinische Technik, wie die Insemination oder künstliche Befruchtung mittels ICSI, erfordert.

Effekt auf den Uterus

Wie oben beschrieben können die Oozyten bzw. Ovarien vor einer Chemotherapie oder Radiotherapie kryokonserviert werden, um die Fertilität zu erhalten. Doch wie sehen die Effekte von onkologischen Therapien auf den Uterus aus?

Durch die Bestrahlung des Uterus entsteht eine Fibrosierung und die Durchblutung ist verändert, was die Schwangerschaftsraten reduziert. Die Effekte sind dosisabhängig, jedoch ist unklar, ob es einen oberen und unteren Schwellenwert gibt. Das Volumen des Uterus ist nach Radiotherapie deutlich verkleinert. Ebenfalls kann die Tubendurchgängigkeit oder deren Motilität nach Bestrahlung beeinträchtigt sein. Eine Schwangerschaft bei vormals strahlenexponiertem Uterus hat ein erhöhtes Risiko für Aborte, Früh­geburten oder verringertes Geburtsgewicht der Kinder (8).

Eine grosse französische Studie zeigte microvaskuläre Schäden an den Blutgefässen mit daraus folgender Fibrosierung des Myometriums und verkleinertem Uterusvolumen nach Chemotherapie mit alkylierenden Wirkstoffen. Fraglich ist, in welchem Ausmass dies durch die Chemotherapie direkt oder durch den Östrogenentzug zustande kommt (9).

Fertiprotektion bei nichtonkologischen ­Patientinnen

Auch bei nichtonkologischen Patientinnen sollte in gewissen Situationen an eine Fertiprotektion gedacht werden. Diese Patientinnen und Patienten sind von der Kostenübernahme der Krankenkasse ausgeschlossen.

Patientinnen mit Turner Syndrom oder Turner Mosaik haben ein hohes Risiko einer prämaturen Ovarialinsuffizienz.

Eine weitere wichtige Gruppe von Patientinnen sind die Frauen mit Endometriose. Insbesondere bei vorliegender oder absehbarer bilateraler Schädigung der Ovarien sollte bei Kinderwunsch in der Zukunft eine Beratung bezüglich Kryokonservierung von Ovarien stattfinden. Primär sollte immer eine Spontankonzeption angestrebt werden.

Menschen, welche sich als transgender identifizieren, wird empfohlen, sich vor allfälliger hormoneller oder operativer Therapie bezüglich der Kryokonservierung von Eizellen oder Spermien beraten zu lassen.

Stammzelltransplantationen werden immer häufiger auch bei nicht-onkologischen Patientinnen durchgeführt, in diesem Falle wird bei postpubertären Frauen die Fertiprotektion von den Kassen übernommen.

Literatur
1. Schweizerischer Krebsbericht 2021
2. Elgindy E et al., Obstet Gynecol. 2015; 126:187–95
3. Jensen AK et al., Human Reprod 2015; 30:2838–45
4. https://www.fertiprotekt.com/fachbuch
5. AWMF Leitlinie: Fertilitätserhalt bei onkologischen ­Erkrankungen
6. Anderson RA et al., Europ J. Cancer 2013; 49:2960–6
7. Poirot C et al., Lancet 2012; 379:588
8. Teh WT et al., BioMed Res. International 2014; 48:2968
9. Courbiere B et al., Fertil Steril. 2023; 119:663–72

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