Im Dialog

Libidostörungen

Prof. Annette Kuhn im Gespräch mit Dr. Elke Krause, Leiterin Ambulatorium, Universitätsfrauenklinik Bern, und Sexualsprechstunde

Zur Person

Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Oberärztin und ärztliche Leiterin des gynäkologischen Ambulatoriums und der Dysplasie-Einheit in der Frauenklinik; Fachärztin für psychosoziale und psychosomatische Medizin, Zusatzausbildung in medizinischer Sexualberatung

Prof. Annette Kuhn: Liebe Elke, Du machst bei uns seit Jahren die Sexualsprechstunde – wie oft siehst Du ­Patientinnen mit Libidostörungen?

Dr. Elke Krause: Wir haben eine gesonderte Spezialsprechstunde in der Frauenklinik für Fragen und ­Therapien, die sich in der Sexualität ergeben. Der Grossteil meiner Patientinnen, die ich in meiner ­Sexualsprechstunde betreue, stellen sich initial mit Libidostörungen vor.

Betreust Du Männer und Frauen?

In der Regel kommen zunächst die Frauen, aber im Verlauf der Gespräche ist es durchaus möglich, dass sie auch die Partner mitbringen können, das entscheiden aber die Frauen, ob sie das möchten. Oft ist es hilfreich, wenn das Paar zusammen anwesend ist, denn es zeigt oft neue Aspekte des Problems. Unser Angebot richtet sich aber primär an Frauen, aber Einzel­gespräche mit Männern im Rahmen dieses Settings sind durchaus möglich.

Was ist in der Anamnese hier besonders wichtig für Dich?

Die Anamnese ist die Grundlage der Therapie. Fragen nach Beginn der Veränderungen, mögliche Ereignisse, die eine Veränderung der Libido bewirkt haben könnten, Erkrankungen, neue Medikamente, Veränderungen in der Partnerbeziehung sind essenziell.

… und bei der Untersuchung? Worauf achtest Du?

Oft sind Dyspareunien aufgetreten, dann ist eine gynäkologische Untersuchung erforderlich, um oberflächliche (Vulvodynien) oder tiefe Dyspareunien (z. B. Endometriose) zu erkennen. Sind altersbedingte/senile Atrophien oder andere Veränderungen am äusseren Genitale vorhanden oder braucht es weitere Diagnostik für die tiefe Dyspareunie?

Wie sehen die gängigsten Therapien aus?

Die gängige Therapie liegt in der Suche der Ursache der Libidostörung. Oft berichten die Frauen über eine unbeschwerte lustvolle Sexualität am Anfang ihrer Beziehung, die sich dann aber im Laufe der Zeit oder der Jahre verändert. Diese Veränderung ist dann Ansatzpunkt von weiteren Evaluationen. Hat sich die Paarbeziehung aufgrund veränderter Umstände anders entwickelt, z. B. Geburten mit einer anderen Rolle als Mutter oder Vater, ist es die Routine, die eine Beziehung zum Stillstand bringt oder langweilig macht? Hat das Paar genügend Zeit für eine Sexualität oder leben die Partner aneinander vorbei? Es gibt noch viel mehr Facetten, die angeschaut werden müssen.

Wie erfolgreich sind die Therapien? Ich kann mir vorstellen, dass die meisten Libidostörungen nicht gerade erst seit gestern bestehen …

Die Therapie ist so erfolgreich, wie die Patientin das zulässt. Wenn sie Widerstände entwickelt oder sich auf die Evaluation nicht einlassen kann, geht eine Lösung nicht weiter. Oft brechen die Frauen die Gespräche dann ab. Bei Vulvodynien oder Vaginismus ist das etwas anders. Da können wir den Frauen auch andere Therapien anbieten. Physiotherapie, lokale Therapie bei Vaginismus oder Vulvo-Vestibulärem Syndrom mit Desensibilisierung sind oft sehr erfolgreich.

Hat die Libidostörung einen Krankheitswert?

Der Krankheitswert einer Libidostörung ist so stark zu bewerten, wie die Frauen ihn empfindet. Auch das ist individuell unterschiedlich. Eine generelle Aussage gibt es nicht.

Werden die Therapien durch die Krankenkasse bezahlt?

Grundsätzlich werden die Gespräche von der Krankenkasse bezahlt. Ich hatte in den vielen Jahren noch nie eine Reklamation. Die Kasse übernimmt allerdings die Kosten nur für eine gewisse Anzahl von Gesprächen, die aber oft ausreichen. Bei schwerer Eigen- oder Paarproblematik sollte sowieso überlegt werden, ob die Patientin nicht in eine Psychotherapie oder Paartherapie vermittelt werden sollte. Bei uns ist das jedoch kein Problem mit der Bezahlung, da alle unsere Therapeutinnen sowieso über eine Zusatzausbildung in Psychosomatischer Medizin verfügen.

Ist der Partner in der Regel aufgeschlossen gegenüber „Veränderungen“?

Die Partner sind gegenüber Veränderungen meist sehr aufgeschlossen. Leider muss ich aber auch immer ­wieder feststellen, dass die Partner die Frauen „vorschicken“, damit sich in der sexuellen Beziehung „endlich mal was“ verändert. Da finde ich oft Schuldgefühle der Frauen, die sich verantwortlich dafür fühlen, dass die nicht oder schlecht funktionierende Sexualität von ihnen verursacht wird, denn der Partner „kann immer“ und hat in seinen Augen kein Problem. Dann ist es wichtig herauszufinden, was die Frau tatsächlich will, unabhängig vom Partner. Aber es kommen auch Frauen zu mir, die das ganz allein für sich klären wollen und den Partner gar nicht einbeziehen wollen.

Was denkst Du, wieviel Prozent der Libidostörungen sind hormonell bedingt?

Das ist in meiner Sprechstunde sehr schwer zu sagen, man kann aber längst nicht jede Libidostörung auf eine hormonelle Ursache herunterbrechen. Selbstverständlich helfen Atrophie, menopausale Beschwerden und Beckenbodenerkrankungen nicht unbedingt zu einem unbeschwerten Sexualleben und sollten je nach Schwere der Beschwerden therapiert werden.

Hilft ein neuer Partner/eine neue Partnerin?

Kann sein, muss aber nicht sein. Oft reproduzieren sich dieselben Beziehungsschemata auch in einer neuen Beziehung.

Vielen Dank für dieses spannende Interview!

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