Für Sie kommentiert

Vaginale Oestrogenisierung/Lungenreife/Was bei Reizblase?/Fagotti-Scores und neoadjuvante Chemotherapie/Vaginale Oestrogentherapie bei Mammakarzinom?/Interlace Trial/APS enigmatisch/Prognosefaktor beim Endometrium-CA/Geburtshilfliche Uterusruptur/Ende der radikalen Hysterektomie/Zirkumzision bei Hydronephrose

Vaginale Oestrogenisierung bei rezidivierenden ­Harnwegsinfekten in der Menopause

In der täglichen Praxis spielt die lokale vaginale ­Oestrogenisierung in der Menopause aufgrund von Atrophiebeschwerden, aber auch zur Infektprophylaxe bei wiederkehrenden Harnwegsinfekten, eine grosse Rolle. Die Datenlage für letztere Indikation war bislang allerdings relativ schlecht, die Patientinnenzahlen in den meisten Studien waren gering. Aktuell wurde eine retrospektive Multicenter-Studie veröffentlicht, in die über einen Zeitraum von zehn Jahren über 5000 Frauen eingeschlossen wurden. Alle hatten ≥3 dokumentierte (mikrobiologisch nachgewiesene) Harnwegsinfektionen innerhalb von zwölf Monaten. Erfolgte eine regelmässige vaginale Oestrogenisierung, reduzierte sich die Anzahl der HWI von 3.9 pro Jahr vor Therapiestart auf 1.8 pro Jahr im ersten Jahr nach der Verschreibung. Harninkontinenz, ein vorbestehender Diabetes und ein Lebensalter ≥75 Jahre waren negative Prädiktoren für den Erfolg der Therapie. (Tan-Kim J et al., AJOG 2023; 229(2):143.E1–E9)

Kommentar
Diese Studie stützt mit einer eindrucksvollen Patientinnenzahl die bereits übliche Praxis, eine lokale vaginale Oestrogenisierung zur Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfekte einzusetzen. Die Anzahl an Infekten wurde in der vorliegenden Studie um über 50% reduziert, mit ­dieser Angabe kann man vor unentschlossenen Patientinnen durchaus argumentieren.

Martin Heubner

Wieder mal etwas über die Lungenreife

Die reinen geburtshilflichen Komplikationen, welche i. d. R. zu einer Hospitalisation führen, sind praktisch an einer Hand aufzählbar: Blutungen, vorzeitige Wehen, vorzeitiger Blasensprung und maternoplazentare Komplikationen i.w.S. Wenn solche Verläufe vor 34 Wochen auftreten, dann wird reflexartig eine Standardtherapie bzw. -prophylaxe bestehend aus Tokolyse, Antibiotika und Steroiden verschrieben und wenn möglich die Frau ans Bett gefesselt. Ich übertreibe wieder mal, ihr verzeiht. Aber seien wir ehrlich, das ist doch oft so und vielleicht auch nicht so falsch, wenn die Frauen tatsächlich auch innerhalb von sieben Tagen gebären würden. Auf was will ich hinaus? Nun, man könnte all diese gut gemeinten medikamentösen Interventionen beinahe philosophisch-dogmatisch diskutieren und wir würden für alle Teilaspekte mindestens ein Buch schreiben können. Das will ich nicht. Aber Ninan Kiran et al. (1) haben sich kürzlich die berechtigte Frage gestellt, was passiert eigentlich kurz- und langfristig mit den Kindern, welche Steroiden ausgesetzt waren und nicht zu früh geboren wurden? Sie haben eine systematische Übersichtsstudie von randomisierten und populationsbasierten Studien mit Metaanalyse durchgeführt. Insgesamt konnten 1.6 Mio steroidexponierte Kinder eingeschlossen werden. Davon sind ~40 % am Termin zur Welt gekommen. Das ist nicht so verwunderlich und deckt sich auch mit unseren Erfahrungen. Die protektive Wirkung von Steroiden bei Frühgeburten ist unbestritten und darum geben wir das grosszügig und nehmen „falsch positive“ Fälle gerne in Kauf. In gewissen Situationen wiederholen wir ja noch die ­Steroidgabe und nennen das auch grossspurig Rescue-Lungenreifung (2). Nun, langer Rede kurzer Sinn, in dieser Studie konnte gezeigt werden, dass Kinder, welche Steroiden ausgesetzt waren und >37 Wochen geboren wurden, ein höheres Risiko hatten, auf der Intensivstation zu landen (OR 1.49), intubiert zu werden (OR 2.59), einen kleineren Kopfumfang zu haben (OR –0.21), therapiebedürftige Hypoglykämien (OR 2.12) zu machen und langfristig mehr Hinweise für Verhaltensstörungen aufzuweisen (OR 1.49) (Abb. 1).

Eigentlich nichts Neues, oder? Auch diese Arbeit zeigt uns aber, dass wir einerseits mehr an unserer diagnostischen Fähigkeit arbeiten müssen, die „drohende Frühgeburt“ zu definieren und andererseits auch mal etwas länger abwarten, bevor man Steroide gibt, wenn man bedenkt, wie hoch die Rate an falschen Diagnosen ist.

Literatur
1 Kiran N et al., BMJ 2023; 382:e076035
2 56_Lungenreifungsinduktion_bei_drohender_Fruehgeburt.pdf (sggg.ch)

Luigi Raio

Anticholinergika oder transkutane Nervenstimulation bei Patientinnen mit Reizblase?

Reizblasentherapien können oft langwierig und vor allem nebenwirkungsbehaftet sein.

Die vorliegende kanadische Studie hat die Sicherheit und Wirksamkeit der peronealen elektrischen transkutanen Neurostimulation im Vergleich zu Solifenacin untersucht. Als Neuromodulation wurde das URIS-System benutzt, dies im Vergleich zur oralen Gabe von Solifenacin bei bisher unbehandelten Patientinnen mit überaktiver Blase.

Von initial 120 Patientinnen wurden 77 im Verhältnis 2:1 für eine dreimonatige Behandlung entweder mit Neuromodulation oder peroralem Solifenacin 5 mg gewonnen. Primärer Endpunkt war Sicherheit, und die Wirksamkeit wurde als Anteil der Responder mit einer 50 %igen Reduktion der Blasentagebuch-Variablen (Frequenz, Kapazität) beurteilt.

71 Patientinnen haben die Studie abgeschlossen. In der Gruppe der Neuromodulation berichteten sechs von 51 Frauen (12 %) über behandlungsabhängige Nebenwirkungen, vergleichsweise dazu hatten 12 von 25 Patientinnen in der Medikamentengruppe (48 %) Nebenwirkungen (p<0.001).

Die Ansprechraten in der Gruppe der Neuromodulation betrug 87 % im Vergleich zu 74 % für 
Grad-3-Urgency level, für Grad 3 und 4 90 % respektive 94 %.

Die Autoren dokumentieren in Post-hoc-Analysen eine signifikante Verbesserung in mehreren Wirksamkeitsvariablen in beiden Testgruppen.

Diese Studie ist auch für uns sehr interessant, da viele Patientinnen nebenwirkungsarme Alternativen zu Anticholinergika suchen. Die Nebenwirkungen waren in dieser Studie in der Gruppe der Neuromodulation signifikant geringer als in der Solifenacingruppe, die Wirkung sehr ähnlich.

Ein Kritikpunkt von meiner Seite ist diese sogenannte „Sicherheitsstudie“ – bei einer Gruppe von 51 oder 20 Patientinnen lassen sich ja nur Sicherheitsaspekte, die mit einer Häufigkeit von mindestens 1/51oder 1/20 auftreten, dokumentieren – und alle selteneren Inzidenzen nicht.

Falls die Wirksamkeit in grösseren Studien bestätigt werden kann, könnte die Therapie der Neuromodulation tatsächlich als Alternative zur Pharmakotherapie akzeptabel werden. Die perkutane Therapie bietet, da sie auch zu Hause angewandt werden kann, eine bessere Zugänglichkeit, wenn auch aktuell die Übernahme durch die Kassen sehr variabel gehandhabt wird und vor Beginn eine Kostengutsprache erforderlich ist. (Krhut J, Rejchrt M, Slovak M, Dvorak RV, Peter L, Blok BFM, Zvara P: Prospective randomized multicenter trial of peroneal electrical transcutaneous neuromodulation vs Solifenacin in treatment-naïve patients with overactive bladder. J Urol 2023; Apr,209 [4]:734–41)

Annette Kuhn

Eine Abnahme des Fagotti-Scores ist mit dem Ergebnis nach neoadjuvanter Chemotherapie des Ovarialkarzinoms assoziiert.

Der Fagotti-Score wurde entwickelt, um bei Patien­tinnen mit Ovarialkarzinom die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, chirurgisch eine optimale Zytoreduktion (= R0, d. h. kein makroskopisch sichtbarer Resttumor nachweisbar) zu erreichen. Es ist ein laparoskopischer Index, der Peritonealkarzinose, Omentalcake, Zwerchfellbeteiligung, Darm- oder Mageninfiltration, Mesenterialretraktion und Lebermetastasen einschließt. Bei Patientinnen mit einem Fagotti-Score von 8 oder höher ist eine vollständige chirurgische Resektion sehr unwahrscheinlich. In diesen Fällen oder wenn der Allgemeinzustand der Patientin einen ­großen chirurgischen Eingriff nicht zulässt, wird eine neo­adjuvante Chemotherapie durchgeführt. Nach drei Zyklen erfolgt eine bildgebende Re-Evaluation und bei nachgewiesenem Therapieansprechen kann die Intervalldebulking-Operation durchgeführt werden. Nach aktueller Literatur sind die Überlebensraten beim Ovarialkarzinom nach Intervaldebulking vergleichbar mit denen nach Primäroperation. Das Ziel der Intervaldebulking-­Chirurgie ist ebenfalls eine R0-Resektion. Daher wäre ein Score zur Vorhersage des Operationserfolges auch nach neoadjuvanter ­Chemotherapie wertvoll.

In dieser retrospektiven Studie wurde der Fagotti-Score bei 130 Patientinnen mit Ovarialkarzinom (FIGO ­Stadien IIIC [68,5 %] oder IV [20,8 %]) vor und nach neoadjuvanter Chemotherapie berechnet und verglichen. Der Zusammenhang zwischen der Veränderung des Fagotti-Scores und dem Resektionsstatus nach Intervall-Debulking-Chirurgie wurde untersucht. Das Operationsergebnis wurde definiert als: keine Rest­erkrankung (R0), makroskopische Resterkrankung mit einem Durchmesser von 0,1 bis 1 cm (R1) oder >1 cm (R2) und Überleben. 91 Patientinnen (70 %) erlitten ein Rezidiv und 81 (62 %) starben an ihrer Erkrankung. Das mediane Gesamtüberleben betrug 40 Monate (95 % CI 30,6–49,4). Der Fagotti-Score sank von einem Mittelwert von 7,8 (95 % CI 7,14–8,42) bei Diagnosestellung auf 3,9 (95 % CI 3,34–4,46, p <0,001) nach neoadjuvanter Therapie. Dieser Rückgang war mit einer ­Verbesserung des Resektionsstatus’ während der Inter­valloperation verbunden (mittlerer ΔFagotti –4,9 in R0, –2,2 in R1, –0,6 in R2, p <0,001). Frauen, deren Fagotti-Score sich nach neoadjuvanter Chemotherapie um mehr als zwei Punkte verbesserte (n = 51/88, 58 %), überlebten signifikant länger (medianes Gesamtüber­leben 42 vs. 32 Monate, p = 0,048).

Der Fagotti-Score und insbesondere die Unterschiede des Fagotti-Scores vor und nach neoadjuvanter Chemotherapie sind bei Frauen mit Ovarialkarzinom mit einer kompletten Zytoreduktion nach Intervalldebulking und einem längeren Gesamtüberleben assoziiert. Dieser Marker ist wertvoll für die individuelle Behandlungsplanung und sollte nach einer neoadjuvanten Therapie immer berechnet werden. (Saner F et al., Int J Gynecol Canc [2023]; 0:1–7]

Kommentar
Eine vollständige (R0) oder optimale (R0/R1) chirur­gische Zytoreduktion ist eine der wichtigsten Determinanten des Überlebens und bleibt das übergeordnete Ziel sowohl der primären als auch der Intervall-Debulking-Chirurgie.
Dies ist die erste Analyse des ΔFagotti-Scores als neu­artiges Maß für das Ansprechen auf eine Chemotherapie zum Zeitpunkt der Intervall-Debulking-Chirurgie beim Ovarialkarzinom. Sowohl der Fagotti-Score nach neoadjuvanter Chemotherapie als auch ΔFagotti sind nützlich, um eine vollständige Zytoreduktion vorherzusagen.
Unabhängig vom chirurgischen Resektionsstatus identifizierte die Studie den Fagotti-Score nach neoadjuvanter Therapie als wichtigen prognostischen Faktor für das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben von Frauen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom.
Die vorliegende Studie bestätigt, dass die Auswertung desselben Scores zu verschiedenen Zeitpunkten während der Behandlung wertvoll ist, um sowohl die Wirkung der vorangegangenen Chemotherapie zu beurteilen als auch das Outcome der Patientin vorherzusagen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie belegen den Nutzen einer laparoskopischen Beurteilung nach neoadjuvanter Chemotherapie, um unnötige Laparotomien bei Patientinnen zu vermeiden, die eher von weiteren Chemothera­piezyklen als von einer unvollständigen zytoreduktiven Operation profitieren würden.
Angesichts der in dieser Studie beobachteten starken Korrelation zwischen dem absoluten Fagotti-Score nach neoadjuvanter Chemotherapie und dem Resektions­-status sowie dem progressionsfreien Überleben und dem Gesamtüberleben schlagen wir vor, den Score routinemäßig zum Zeitpunkt der Intervall­debulkingoperation zu bestimmen. Eine systematische Auswertung des Scores kann Patienten mit anhaltend hoher intraabdomineller Tumorlast und geringer Wahrscheinlichkeit einer vollständigen chirurgischen Tumorresektion identifizieren, bei denen eine Debulkingoperation nicht durchgeführt werden sollte. Zukünftige prospektive Studien sind erforderlich, um diese Ergebnisse zu validieren. Neue Marker wie ΔFagotti können den derzeitigen Paradigmenwechsel hin zu einer stärker personalisierten Beratung und Behandlung von Frauen mit diagnostiziertem Ovarialkarzinom unterstützen.

Michael D. Mueller

Vaginale Oestrogentherapie nach Mammakarzinom?

Bei Patientinnen mit hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom kommt es durch die antihormonellen Therapien häufig zu urogenitalen Symptomen auf dem Boden einer vaginalen Atrophie. Die Autoren um McVicker haben nun analysiert, ob die brustkrebsspezifische Mortalität bei Patientinnen nach einer Brustkrebserkrankung höher war, wenn sie eine vaginale Estrogentherapie erhielten im Vergleich mit Patientinnen, die keine solche Therapie bekamen. In dieser Kohortenstudie wurden zwei Kohorten angeschaut: Patientinnen aus Schottland mit Diagnosestellung zwischen 2010 und 2017 sowie aus Wales mit Erstdiagnose zwischen 2000 und 2016. Alle Frauen wurden bis 2020 nachverfolgt. Als vaginale Estrogentherapien kamen Vaginaltabletten und Cremes infrage, sowohl in Low-dose- als auch in Higher-dose-Formulierungen. Es wurden 49 237 Frauen mit Brustkrebs in die Analyse eingeschlossen und es traten 5795 brustkrebs-assoziierte Todesfälle auf. Das mediane Follow-up in der Wales-Kohorte lag bei acht Jahren, in der Schottland-Kohorte bei fünf Jahren. Fünf Prozent der Patientinnen wendeten vaginale Hormontherapien an.

Es zeigte sich kein Hinweis auf ein höheres brustkrebs-spezifisches Sterberisiko bei den Frauen, die eine vaginale Estrogentherapie anwendeten im Vergleich mit jenen, die keine solche verwendeten (HR, 0.77; 95% CI, 0.63–0.94) (McVicker L et al., JAMA Oncol. doi:10.1001/jamaoncol.2023.4508).

Kommentar
Viele Brustkrebspatientinnen leiden unter den Nebenwirkungen der antihormonellen Therapien, und insbesondere die vaginale Atrophie und damit assoziierte Symptome wie Scheidentrockenheit, Dyspareunie, erhöhte Harnwegsinfektneigung etc. können die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Der Einsatz von vaginalen Estrogenpräparaten wurde bereits über die letzten Jahre etwas entspannter gehandhabt, da verschiedene – jedoch meistens kleine – Studien keinen negativen Einfluss auf die Rezidivrate nahelegten. Dennoch besteht eine Unsicherheit sowohl aufseiten der behandelnden ÄrztInnen als auch aufseiten der Patientinnen. Diese grosse Kohortenstudie nun zeigt keinen Hinweis auf ein erhöhtes Mortalitätsrisiko bei Verwendung von lokalen Estrogentherapien, was eine weitere Beruhigung für die verschreibenden Kliniker bedeutet und heisst, dass eine vaginale Östrogentherapie bei Patientinnen mit Brustkrebs und urogenitalen Symptomen in Betracht gezogen werden kann.

Cornelia Leo

Interlace Trial – Die Induktionschemotherapie wird zum neuen Standard für Patientinnen mit fortgeschrittenem Zervixkarzinom

Eine weitere Studie verändert den Therapiestandard bei gynäkologischen Malignomen. Vor über 20 Jahren hat sich die Radiochemotherapie mit Cisplatin als vorteilhaft gegenüber der alleinigen Radiotherapie gezeigt. Dass Zervixkarzinome auch auf Kombina­tionschemotherapien ansprechen, wissen wir schon lange. Studien zu ihrem Stellenwert in der nicht-metastasierten Situation erbrachten jedoch widersprüchliche Ergebnisse. Aus diesem Grund wurde der GCIG INTERLACE Trial aufgelegt, in dem 500 Frauen mit fortgeschrittenem Zervixkarzinom und geplanter primärer Radiochemotherapie 1:1 randomisiert wurden. Die Hälfte erhielt die Standard­therapie, die Studienkohorte eine wöchentliche Kombinationschemotherapie mit Carboplatin (AUC2) und Paclitaxel (80 mg/m2) über sechs Zyklen und anschliessend die geplante Radiochemotherapie. Die Toxizität der Therapie war im Studienarm erwartungsgemäss grösser im Sinne des häufigeren Auf­tretens hämatologischer Toxizitäten. Nach fünf ­Jahren zeigten sich für den Studienarm signifikante Vorteile sowohl für das progressionsfreie Überleben (73 % versus 64 %) als auch für das Gesamtüberleben (80 % versus 72%).

Kommentar
Die Ergebnisse überzeugen und machen Hoffnung. ­Insbesondere für das mehrheitlich junge Patientinnenkollektiv (das Durchschnittsalter der Studienpatien­tinnen lag bei 46 Jahren!) sind jedoch dringend Ansätze zur weiteren Prognoseverbesserung gefragt. Ob Immuncheckpointinhibitoren, die in der Palliativtherapie des Zervixkarzinoms exzellente Ergebnisse gezeigt haben, auch in dieser Situation einen Beitrag hierzu leisten ­können, werden weitere Studien zeigen.

Literatur
McCormack M et al., Oral Presentation, ESMO Congress 2023

Martin Heubner

Das APS bleibt enigmatisch

APS steht für Anti-Phospholipid Syndrom. Das ist eine systemische, autoimmune Erkrankung, charak­terisiert durch arterielle, venöse oder mikrovaskuläre Thrombosen, Schwangerschaftsmorbidität oder nicht-thrombotische Manifestationen bei Patienten mit persistierenden Antiphospholipid-Antikörpern (aPL). Die bis anhin geltende oder akzeptierte APS-Klassifizierung basiert auf den 1999 publizierten ­Sapporo-Kriterien (1), welche 2006 überarbeitet ­wurden (2). Diese verlangen klinische Merkmale (Thrombosen oder Schwangerschaftskomplikationen) und Labortests (lupus anticoagulant und/oder anti-cardiolipin Ak Typ IgG/IgM und/oder anti-β2-Glykoprotein I-Ak IgG/IgM) mit Bestätigung der aPL-Tests mindestens im Anstand von drei Monaten. Ich habe selber als Mitglied der EULAR-Gruppe (European Alliance of Associations for Rheuma­tology) an verschiedenen Paper mitgearbeitet (3, 4) und bin davon ausgegangen, dass ich zumindest das „obstetrical APS“ einigermassen im Griff hatte. Nun, vor Kurzem wurde zusammen mit der ACR (American College of Rheumatology) eine neue Klassifizierung vorgeschlagen, welche sich „basierend auf einer rigorosen Methodik und auf einem modernerem Verständnis der Pathophysiologie sowie expertenbasierten Definition der Kriterien“ stützt (5). Als ob das ­früher nicht expertenbasiert war!

Die „neue“ Klassifikation basiert auf „entry criteria“ (Klinik und EIN positiver aPL-Test) sowie „additive[n] klinische[n] und Laborkriterien“. Die Relevanz dieser additiven Parameter wird mittels eines Punktescores festgelegt. Wenn ein Punktescore von mindestens drei klinischen und drei Laborparametern zusammenkommen, dann gilt das als APS. Das scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar zu sein. Auf den zweiten Blick verstehe ich aber nicht, wieso man das als eine „neue“ Klassifizierung bezeichnet!?

Ich will nur auf die geburtshilflichen Kriterien eingehen, welche offenbar neu überarbeitet wurden (Abb. 2).

Ich weiss nicht, welcher Geburtshelfer hier mitgear­beitet hat. Bei dieser riesigen Autorenliste waren es lediglich fünf (glaube ich zumindest, dass es Geburtshelfer waren!), welche offenbar aber nicht auf dem neuesten Stand der Definitionen von hypertensiven Schwangerschaftskomplikationen sind, nichts wissen über die Rolle der Angiogenese und dessen Marker in der „modernen“ Interpretation von plazentaren Problemen und auch bei der Definition von intrauteriner Wachstumsrestriktion nicht ganz den europäischen oder der ISUOG-Klassifizierung entspricht. Ich verstehe auch nicht, wieso im Falle eines intrauterinen Fruchttodes das nur bis 34 Wochen gilt. Was sicher neu ist, ist, dass die Präeklampsie nicht nur bis 34 Wochen gezählt wird, sondern man generell von Präeklampsie mit schwerem und von Präeklampsie ohne schweren Verlauf redet. Die Kriterien für eine „schwere Präeklampsie“ entsprechen auch nicht den gängigen!

Es regen sich schon Stimmen innerhalb der Fach­gruppen, welche eine Revision der Kriterien verlangen. Ich bin auch aufgerufen worden, dort mitzu­machen. Bin gespannt, ob man das nicht doch etwas einfacher definieren kann.

Literatur
1 Wilson WA et al., Arthritis Rheum 1999; 42:1309–11. doi: 10.1002/1529 0131(199907)42:7<1309:: AID-ANR1>3.0.CO;2-F
2 Miyakis S et al., J Thromb Haemost 2006; 4:295–306. doi: 10.1111/j.15387836.2006.01753.x
3 Tektonidou MG et al., Ann Rheum Dis. 2019 Oct; 78(10):1296–304. doi: 10.1136/annrheumdis-2019-215213. Epub 2019 May 15.PMID: 31092409
4 Andreoli L et al., Ann Rheum Dis. 2017 Mar; 76(3):476–85. doi: 10.1136/annrheumdis-2016-209770. Epub 2016 Jul 25.PMID: 27457513
5 Barbhaiya M et al., Ann Rheum Dis. 2023 Oct; 82(10):1258–70. doi: 10.1136/ard-2023-224609. Epub 2023 Aug 28

Luigi Raio

Beim Endometriumkarzinom sind Lymphgefäß­einbrüche, auch im Zeitalter der molekularen Klassifikation, ein unabhängiger Prädiktor für ein Rezidiv

Lymphgefäßeinbrüche (LVSI) sind ein bekannter prognostischer Faktor für das onkologische Ergebnis bei Patientinnen mit Endometriumkarzinom. Es ist jedoch wenig über den prognostischen Wert der LVSI in den verschiedenen molekularen Untergruppen bekannt. Ziel der Studie war es, die prognos­tische Abhängigkeit der LVSI von der molekularen Signatur zu bestimmen. 589 Patientinnen mit Endometriumkarzinom konnten in die Studie eingeschlossen werden und erhielten eine vollständige molekulare Analyse des Primärtumors gemäß der WHO-Klassifikation von Tumoren, 5. Auflage (40 POLEmut (Polymerase epsilon ultramutiert), 198 MMRd (mismatch repair deficient), 83 p53abn (p53 abnormal) und 268 NSMP (unspezifisches molekulares Profil). Die LVSI wurde für alle Präparate von Referenzpathologen überprüft. Insgesamt wiesen 17 % der Tumoren LVSI auf: 25 % der POLEmut-, 19 % der MMRd-, 30 % der p53abn- und 10 % der NSMP-Fälle. Es bestand eine signifikante Korrelation ­zwischen LVSI und Lymphknotenmetastasen in der gesamten Studienkohorte (p <0,001), die in den Subgruppen MMRd (p = 0,020), p53abn (p <0,001) und NSMP (p <0,001) signifikant blieb. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 89 Monate (95 % CI 86–93). Das Vorhandensein von LVSI reduzierte signifikant das rezidivfreie Überleben bei Patientinnen mit MMRd-, p53abn- und NSMP-Endometrium­karzinom und das Gesamtüberleben bei Patientinnen mit p53abn- und NSMP-Tumoren. Bei Patientinnen mit NSMP-Endometriumkarzinom blieb das Vorhandensein von LVSI ein signifikanter unabhängiger Prädiktor für ein Rezidiv in der multivariaten Cox-Regressionsanalyse unter Einbeziehung von Tumorstadium und -grad (HR 7,5, 95 % CI 2,2–25,5, p =0,001). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Vorhandensein von LVSI in jeder Untergruppe von Patientinnen mit MMRd-, p53abn- und NSMP-Endometriumkrebs mit einem Rezidiv assoziiert war, und dass LVSI ein unabhängiger Prädiktor für ein Rezidiv bei NSMP-Endometriumkrebspatientinnen blieb (Siegenthaler F et al., Int J Gynecol ­Cancer 2023; 33:1702–7).

Kommentar
Die Optimierung der chirurgischen und adjuvanten ­Therapie des Endometriumkarzinoms auf der Grundlage einer personalisierten Risikostratifizierung hat in den letzten zehn Jahren große Fortschritte gemacht, insbesondere dank der Einführung des Sentinel-Lymphknoten-Mappings (SLN) und der molekularen Klassi­fikation. Die Bewertung unabhängiger prognostischer und prädiktiver Faktoren ist notwendig, um eine optimal angepasste Behandlung von Patientinnen mit Endometriumkarzinom zu erreichen. LVSI zählt zu den wichtigsten klassischen pathologischen Faktoren beim Endometrium-karzinom. Während die prognostische Unabhängigkeit der molekularen Klassifikation vom LVSI gesichert ist, ist das Gegenteil noch nicht aus­reichend untersucht worden. Vor diesem Hintergrund liefern die Ergebnisse dieser Studie wichtige Informa­tionen, um die Lücken zwischen der prognostischen Relevanz der „alten“ pathologischen Risikofaktoren und den „neuen“ molekularen Untergruppen zu schließen. Darüber hinaus sind diese Ergebnisse von erheb­licher Bedeutung für die Bestätigung der ESGO/ESTRO/ESP-Empfehlungen und liefern eine Argumentation für die RAINBO-Studie, da LVSI als Risiko­faktor für MMRd und NSMP betrachtet werden kann. LVSI war in allen molekularen Untergruppen des Endometriumkarzinoms mit einem schlechteren rezidivfreien Überleben verbunden, mit Ausnahme der POLEmut-Fälle. Darüber hinaus blieb LVSI ein unabhängiger Prädiktor für ein Rezidiv bei NSMP-Endometriumkarzinom-Patientinnen.

Michael D. Mueller

Geburtshilfliche Uterusruptur

Die Uterusruptur ist ein Schreckgespenst und wird v. a. bei Frauen diskutiert, welche in ihrer geburts­hilflichen Anamnese einen Zustand nach Sectio ­aufweisen. Dass der Uterus auch rupturieren kann ohne vorgängige Eingriffe, ist meist kein Thema. Jetzt hat sich eine europäische Gruppe zusammen­getan, welche geburtshilfliche Uterusrupturen prospektiv erfasst hat. Es wurden Daten aus zehn Ländern gruppiert und analysiert. Unter 3 064 923 Geburten konnten 357 Fälle mit Uterusruptur isoliert ­werden, d. h. 1.2/10 000 Geburten. Davon waren 215 (60.4 %) nach Kaiserschnitt und 75 (21 %) Fälle ohne uterine Eingriffe in der Vorgeschichte, was einer ­Inzidenz von 0.2/10 000 Geburten entspricht. Die maternale Morbidität war höher als bei den Fällen mit voroperierten Uteri, was damit erklärt wurde, dass man es einfach nicht erwartet in dieser Gruppe. Was mich aber wundert in dieser Studie, ist die Tatsache, dass man dem geburtshilflichen Verlauf dieser Gruppe zu wenig Beachtung geschenkt hat. 76 % ­rupturierten am ­Termin (>37 Wochen) und 56 % wurden eingeleitet aus verschiedenen Gründen, meist mit Prostaglan­dinen oder Oxytocin. In 17 % lag eine Makrosomie vor (>4 kg), und verglichen mit den anderen Gruppen (Zustand nach Sectio oder andere uterine Eingriffe) waren die meisten Frauen signifikant häufiger unter der Geburt (85.3 %) beim fatalen Ereignis.

Auch hier zeigt sich wieder mal, dass nicht nur die Vorgeschichte wichtig ist, sondern dass erstens die Interventionen peripartal sorgfältig indiziert werden müssen und zweitens der Geburtsverlauf und die Beobachtung der Frau insbesondere nach Einleitung wichtig sind. Über 90 % dieser 75 Frauen wiesen ­Symptome auf, hatten vaginale Blutungen oder eine Hypertonie.

Literatur
Vandenberghe G et al., INOSS (the International Network of ­Obstetrics Survey Systems). Incidence and outcomes of uterine ­rupture in women with unscarred, preterm or prelabour uteri: data from the international network of obstetric survey systems. BJOG. 2023 Nov; 130(12):1493–501. doi: 10.1111/1471-0528.17517. Epub 2023 Apr 27. PMID: 37113103.

Luigi Raio

Das Ende der radikalen Hysterektomie? ­Kommentierung des SHAPE Trials (vorgestellt am ASCO Kongress 2023)

Die Datenlage zum Stellenwert einer radikalen Hysterektomie versus einer einfachen Hysterektomie beim frühen Zervixkarzinom war äusserst dürftig. Aus diesem Grund wurde der SHAPE Trial aufgelegt. Hier wurden 700 Patientinnen mit Zervixkarzinomen der Stadien IA2 und IB1 mit einer Tumorgrösse <2 cm und <10 mm Stromainfiltration (respektive <50 % in der Bildgebung per MRI) eingeschlossen. Nach Randomisierung wurde entweder eine einfache oder eine radikale Hysterektomie mit Lymphknotenstaging durchgeführt. Zwischen den Kohorten gab es keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeit adjuvanter Therapien. Nach drei Jahren betrugen die Lokalrezidivraten 2.5 % versus 2.1 % für die einfache respektive radikale Hysterektomie (kein signifikanter Unterschied). Das Gesamtüberleben war nach drei Jahren ebenfalls vergleichbar. Intraoperative Komplikationen, insbesondere Verletzungen der ableitenden Harnwege, traten bei der einfachen Hysterektomie ­seltener auf. Lebensqualität und Sexualität, die ebenfalls standardisiert erhoben wurden, wurden positiv durch das weniger radikale chirurgische Vorgehen beeinflusst. (Plante M et al., Jour Clin Oncol 2023 (41) no. 17_suppl, LBA5511-LBA5511)

Kommentar
Die Studie belegt eindrucksvoll, dass operative Radikalität mehr schaden als nutzen kann. Sowohl kurzfristig als auch langfristig wirkt sich die radikale Hysterektomie mit Resektion der Parametrien nachteilig für die Patientinnen aus. Wohin geht es also zukünftig? Die Indikationen für die Durchführung einer radikalen Hysterektomie werden noch rarer werden, als sie es ohnehin schon sind. Ob die klassische radikale Hysterektomie zwischen einfacher Hysterektomie mit Sentinel-Lymphknotenstaging und primärer Radiochemotherapie mittelfristig noch einen Stellenwert finden wird, ist fraglich. Bei Risikofaktoren oder sehr grossen Tumoren wird mittlerweile ohnehin die primäre Radiochemotherapie favorisiert. Diese Studienergebnisse markieren vielleicht nicht das Ende, aber den Anfang vom Ende der radikalen Hysterektomie.

Martin Heubner

Profitieren Kinder mit antenataler Hydronephrose von einer Zirkumzision?

Wir kennen es in der Pränataldiagnostik gut, aber auch in der neonatalen Periode: Harnwegsinfekte ­können für Eltern, medizinisches Personal und Betreuungspersonen eine grosse Herausforderung sein, die mit häufigen Hospitalisationen, Antibiotikagebrauch und Morbidität verbunden sein können. Eine Studie hat untersucht, inwiefern Zirkumzisionen bei Knaben, die präpartal bereits eine Hydronephrose hatten und ein erhöhtes Risiko für Harnwegsinfek­tionen (HWI) haben, von Vorteil sein können. Knapp 9000 Patienten konnten in diese Metaanalyse eingeschlossen ­werden, also eine gute Anzahl von ­analysierten Daten liegen diesbezüglich vor. Die Inzidenz von HWI war 18.1 % in der nicht beschnittenen Gruppe verglichen mit 4.9 % in der Gruppe von Knaben mit Zirkumzision.

Die Metaanalyse zeigte einen deutlichen protektiven Effekt von Zirkumzision gegen Harnwegsinfektionen mit einer Odds Ratio von 0.28 (95 % CI 0.23–0.32).

Dieser signifikante protektive Effekt war ebenfalls in einer Subgruppenanalyse der Ätiologien der Hydronephrosen inklusive versikoureteralem Reflux (gepooltes CI 0.24, 95 % CI 0.17–0.32), obstruktiver Hydronephrose (gepooltes CI 0.34, 95 % CI 0.21–0.53) und posterioren Urethralklappen (gepooltes CI 0.28, 95 % CI 0.16–0.52) sehr deutlich vorhanden.

Angesichts dieser Daten sollte eine Zirkumzision der Knaben mit präpartaler Hydronephrose mit den Eltern diskutiert werden, um Antibiotika, Morbidität und Hospitalisationen und der Neugeborenenperiode zu vermeiden.

Literatur
Wahyudi I et al., Circumcision reduces urinary tract infection in children with antenatal hydronephrosis: Systematic review and meta-analysis. J Pediatr Urol 2023 Feb; 19(1):66–74. doi: 10.1016/j.jpurol.2022.10.029. Epub 2022 Oct 28.

Annette Kuhn

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