Für Sie kommentiert

„Zuviel ist nicht zuviel“ / Progesteron nach vorzeitigen Wehen/Spermien und elektromagnetische Strahlung / Vorgehen bei Sectio-Narben- Schwangerschaften / Sexualität nach Sakrokolpopexie

„Zuviel ist nicht zuviel“

Bei einer In-vitro-Fertilisation (IVF, ICSI) ist das Ziel, durch eine medikamentöse Stimulation mehrere Fol­likel zu entwickeln und so möglichst qualitativ hochwertige Eizellen bei der Punktion zu gewinnen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt zu steigern.
In der vorliegenden Studie wurden die Daten der ­Society of Assisted Reproductive Technology (SART) der ASRM ( in der Schweiz wäre das FIVNAT) retrospektiv untersucht.
402.411 IVF-ICSI-Zyklen der Jahre 2014 bis 2019 wurden ausgewertet. Zielgrössen waren:

  • Zahl der fertilisierten Oozyten
  • Blastozysten
  • Lebendgeburtenrate (LBR) beim Primärtransfer sowie kumulativ

Resultate
Die Anzahl primärer Kryotransfers („Freeze-All“) stieg von 21 % (2014) auf 58 %! (2019) an, das heisst nach jeder zweiten Follikelpunktion erfolgte eine ­Präimplantationsdiagnostik (PID) nach Trophoblastbiopsie der Blastozysten.
Die LBR nach primärem Transfer (nicht Freeze-All) stieg linear an mit der Anzahl gewonnener Eizellen (bis 16–20 Oozyten). Dann kam es zu einer Plateau­bildung (Abb. 1)
Die kumulative LBR pro Punktion schliesst die Kryotransfers ein. Sie stieg rasch an bis zu 16–18 Oozyten; nachher weiterer, aber flacherer Anstieg (Abb. 1). Dies galt auch, wenn man die ­Patientinnen nach Alter, AMH und BMI sowie ­Sterilitätsursachen stratifizierte. Wenn man 11–15 gewonnene Oozyten als Referenz nahm, stieg die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt weiter an bis zu der Gruppe von 30 bis 40 Oozyten (eine sehr hohe Zahl, die selten erreicht wird). (Fanton M. et al., ­Fertil. Steril. 2023; 119:762)

Kommentar
Die Erfahrung vieler Jahre lehrte uns bisher, eine übermässige Stimulation, wenn immer möglich, zu vermeiden wegen der Vermutung, dass hierbei:

  • die Oozytenqualität abnimmt,
  • die Gefahr eines Überstimulationssyndroms (OHSS) zunimmt,
  • durch eine massive Stimulation die Endometrium­rezeptivität beeinträchtigt wird.

Die vorliegende grosse Datenanalyse zeigt nun aber deutlich den neuen Trend: „mehr ist tatsächlich mehr“.

Weshalb?

  • Offenbar beeinträchtigt dies die Oozytenqualität nicht negativ.
  • Die zunehmend häufiger angewandte Präimplanta­tionsdiagnostik verlangt vorerst ein „Freeze-All“ aller Blastozysten.
  • So wird die Störung des Endometriums durch eine Überstimulation verhindert.
  • Die kumulative Lebendgeburtenrate beim Frischtransfer zeigt ein Plateau bei 20 Oozyten. Kumulativ steigt die Kurve, wenn auch flacher, bis zu 50 Eizellen weiter an
  • Für zunehmend mehr Frauen ist das primäre Ziel nicht die Erzielung einer unmittelbaren Schwangerschaft, sondern eine Absicherung für die Zukunft („Reserve auf der Bank“) für eine zukünftige ­Familiengründung.

In diesem Licht erscheint „soviel wie möglich“ als eine vernünftige Option.

Michael K. Hohl

Soll man Progesteron geben nach einer Episode ­vorzeitiger Wehentätigkeit?

Eine sicherlich pertinente Frage, da dieses Kollektiv ein deutlich höheres Risiko für eine Frühgeburt hat als Frauen ohne vorzeitige Wehen im Schwangerschaftsverlauf, insbesondere wenn die Zervix kurz war. Ich habe mal vor Jahren in Bern eine kleine ­retrospektive Untersuchung durchgeführt, um zu ermitteln, wie das Outcome dieser Frauen nach ­Hospitalisation war. Nun, soweit ich mich erinnere, haben tatsächlich etwa 25 % der Frauen, welche wegen vorzeitigen Wehen hospitalisiert wurden, im Verlauf auch vorzeitig geboren, der Rest nicht! In den Jahren sind mehrere randomisierte und auch placebo-kontrollierte Studien erschienen, welche den Einsatz von Progesteron zur Reduktion dieses Risikos in ­diesem Kollektiv untersucht haben. Diese Studien wurden nun in einer kürzlich publizierten Metaanalyse zusammengefasst (1). In dieser systematischen Übersicht und Analyse der Daten konnte gezeigt ­werden, dass die Latenzzeit zwischen einer Episode vorzeitiger Wehentätigkeit und Frühgeburt mit einer Progesteron-Erhaltungstherapie etwas mehr als vier Tage länger war, ohne dass sich aber das perinatale Outcome unterschieden hat. Um das Elend zu ­vergrössern, wurde noch untersucht, ob diese willkommene Verlängerung des Gestationsalters von 35.7 Tage in der Kontrollgruppe und 36.5 Tage in der behandelten Gruppe abhängig war von der Qualität der Studie. Nun, dieser vermeintlich positive Effekt einer Progesteronbehandlung hat sich dabei in Luft aufgelöst! Die Studien waren sehr heterogen, was das verwendete Progesteron anbelangt, und einige eingeschlossene Studien brauchten die intramuskuläre Form, welche vor Kurzem von der FDA sogar vom Markt genommen wurde. Diese Metaanalyse kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung wie eine ähnlich angelegte Metaanalyse von Ferrari F. et al. (2). Keine Frage, bei kurzer Zervix im Rahmen des Screenings und asymptomatischer Frau reduziert vaginales Progesteron signifikant das Risiko einer Frühgeburt (3). Eine Anamnese einer Frühgeburt reicht jedoch nicht aus, um Progesteron prophylaktisch zu geben, wenn die Zervix >25mm lang ist (4). Wie geht es weiter mit dem Progesteron bei symptomatischen Frauen? Ich weiss es wirklich nicht. Die aktuelle Datenlage spricht jedenfalls gegen eine Progesteronbehandlung nach vorzeitiger Wehentätigkeit.

Literatur
1. Breuking SH et al., A systematic review and meta-analysis. BJOG. 2023; 00:1–11
2. Ferrari F et al., A systematic review and meta-analysis. PLoS One. 2023 22; 18:e0277563. doi: 10.1371/journal.pone.0277563. PMID: 36812243; PMCID: PMC9946203
3. Romero R et al., Am J Obstet Gynecol. 2018;218:161–80. doi: 10.1016/j.ajog.2017.11.576. Epub 2017 Nov 17. PMID: 29157866; PMCID: PMC5987201
4. Conde-Agudelo A et al., Am J Obstet Gynecol. 2022;227:440–61.e2. doi: 10.1016/j.ajog.2022.04.023. Epub 2022 Apr 20. PMID: 35460628; PMCID: PMC9420758

Luigi Raio

Was macht elektromagnetische Strahlung mit den ­Spermien?

Die Anwendung von Mobiltelefonen und anderen kabellosen Wearables hat in den letzten Jahren stark zugenommen und gehört zum Alltag der meisten ­Menschen. Eine erhöhte Netzabdeckung mit 5G und auch allgegenwärtiges WIFI trägt zu einer erhöhten Exposition mit elektromagnetischer Strahlung bei. Die Anwendung von kabellosen Kopfhörern und das ­Tragen der Telefone in der Hosentasche – in Nähe zum Genitale – werfen Fragen hinsichtlich der Spermatogenese auf.
Ältere Daten zeigten eine verminderte Mobilität sowie eine verminderte Anzahl von vitalen Spermien, wenn diese elektromagnetischen Radiowellen ausgesetzt sind. Die vorliegende Studie, die in vitro durchgeführt wurde, setzte vormals unauffällige Spermienproben für sechs Stunden verschiedenen Strahlungsarten aus: 4G, 5G, WiFi oder gewöhnliche Mobilfunkstrahlung wurden benutzt und als Hardware ein iPhone der ­neuesten Generation.
Die Resultate zeigten keinen Einfluss auf die Motilität und Vitalität bei 4G- oder 5G-Strahlung; hingegen zeigten Proben, die WiFi Strahlung ausgesetzt waren, eine verminderte Motilität (41 % vs. 50 % Kontrollgruppe, p = 90.03). Ebenfalls konnte eine Verminderung der Vitalität festgestellt werden (47 % vs. 60 %, p = 0.003). Elektromagnetische Strahlung, die von der Telefonie über das Mobilfunknetz emittiert wird, führte zu keiner Veränderung der Spermienqualität. Die Anwendung einer Schutzhülle führte bei den Proben, die einer WiFi-Strahlung ausgesetzt waren, zu einem Erhalt der Motilität mit dennoch Verlust der Vitalität (30 % vs. 60 %; p = 0.004) Chu KY et al., Eur Urol Focus 2023; 9).

Kommentar
Sicherlich interessante Daten dieser als Pilotstudie ­designten Studie. Die Resultate sind allerdings etwas mit Vorsicht zu interpretieren, da nur reife, bereits ­ejakulierte Spermien exponiert wurden und der Effekt auf die Spermatogenese damit nicht untersucht werden konnte. Weitere Tierstudien sind geplant, die möglicherweise mehr Aufschluss geben.

Annette Kuhn

Vorgehen bei Sectio-Narben-Schwangerschaften

Die ektope Schwangerschaft in der Sectio-Narbe ist ein seltenes, aber zunehmendes Phänomen. Die frühzeitige Entdeckung kann katastrophale Komplika­tionen in der Regel verhindern. Unklar dagegen ist, wie das optimale Management aussieht. In deiner ­randomisierten Studie wurden nun die Ergebnisse einer ultraschallgesteuerten Vakuumaspiration (n = 27) versus einer hysteroskopischen Resektion (n = 27) miteinander verglichen. Beiden operativen Therapieansätzen ging eine Vorbehandlung mit Methotrexat (50mg/m2 d1, d3, bei weiterhin positiver Herzaktion zusätzlich d5) voraus. Die Erfolgsrate beim hysteroskopischen Vorgehen lag bei 100 %, ­während die Vakuumaspiration in 82 % erfolgreich war. In beiden Gruppen gab es keine Todesfälle oder stationäre Wiederaufnahmen aufgrund von Kom­plikationen (Di Spiezio Sardo A et al., AJOG 2023; DOI:https://doi.org/10.1016/j.ajog.2023.04.038).

Kommentar
Wir werden zunehmend mit dieser Problematik zu tun haben. Daher sind Studien sehr wichtig, um das optimale Vorgehen mit unseren Patientinnen diskutieren zu können. Die Aussagekraft ist aufgrund der geringen Fallzahl eingeschränkt, dennoch ist meine Interpretation: beide Wege sind gangbar, die Resektion jedoch mit einem zuverlässigeren Ergebnis. Bei einigen Frauen wird man im weiteren Verlauf eine Isthmozelen-Sanierung diskutieren müssen.

Martin L. Heubner

Sexualität nach Sakrokolpopexie

Die Sakrokolpopexie hat in der Therapie des genitalen Descensus einen grossen Stellenwert. Aufgrund guter Langzeitresultate wird diese Operation unter den descensuschirurgischen Operationsverfahren als Gold-Standard angesehen. Das Sexualleben der Patientinnen kann durch den Descensus selbst, aber auch durch operative Korrekturen, beeinflusst werden. In einer aktuellen Studie wurden 228 Frauen mit Status nach Sakrokolpopexie über einen Zeitraum von fünf Jahren bezüglich ihres Sexuallebens befragt. Unter den ­Patientinnen, die vor der Operation nicht mehr sexuell aktiv gewesen waren, nahmen 76 % nach erfolgreicher Operation wieder eine sexuelle Aktivität auf. Bei Frauen, die vor dem Descensuseingriff sexuell aktiv waren, veränderte sich interessanterweise die Zufriedenheit des Sexuallebens mit erfolgtem Eingriff nicht – weder positiv noch negativ (Najib B et al. EJOG 2023; DOI:https://doi.org/10.1016/j.ejogrb.2023.02.016).

Schlussfolgerung
Die operative Descensuskorrektur mittels Sakrokol­popexie erlaubt vielen Frauen, die aufgrund eines Descensus sexuell abstinent waren, die Wiederaufnahme sexueller Aktivität. Bei sexuell aktiven Frauen scheint die operative Intervention mehrheitlich keinen negativen Einfluss auf das Sexualleben zu haben. Beide Aussagen entsprechen unserer klinischen Erfahrung und können durchaus als Argument für die Empfehlung der Sakrokolpopexie herangezogen werden.

Martin L. Heubner

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