Geburtshilfliche Einleitung

Indikationen und Kontraindikationen für eine Geburtseinleitung

Einige der frühesten Berichte über Geburtseinleitung sind in den medizinischen Schriften des griechischen ­Arztes Soranus von Ephesus zu finden, der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebte. Soranus beschrieb eine Vielzahl von Methoden zur Geburtseinleitung, wie zum Beispiel das Einbringen von pflanzlichen Substanzen in die Vagina, um die Gebärmutter zu stimulieren, oder die Verwendung von warmen Bädern und Massagen. Andere Methoden, die im antiken Griechenland verwendet wurden, umfassen das Trinken von Kräutertees und das Einnehmen von Abführmitteln. Auch im alten Ägypten gab es bereits Vorrichtungen, die zur Geburtseinleitung eingesetzt wurden. Zum Beispiel wurde eine Papyrusrolle gefunden, die eine Beschreibung einer Wehenförderungsmethode enthält, die darauf abzielt, die Wehen durch die Anwendung von Druck auf den Bauch zu stimulieren.

Wenn schon diese Hochkulturen sich damit beschäftig haben und diese Praktiken auch ausübten, ist es nicht verwunderlich, wenn wir heute weiterhin mit diesen geburtshilflichen Interventionen konfrontiert werden. In den letzten Jahrtausenden haben sich aber die ­Indikationen und die Praktiken zur Geburtseinleitung natürlich deutlich geändert. Die Indikationen zur Geburtseinleitung sind signifikant angestiegen und heute werden 20–25 % der Schwangeren eingeleitet. Grundlegend geht es darum, mit medizinischen Massnahmen den Uterus zu stimulieren, Wehen zu erzeugen bzw. den Geburtsprozess vorher zu initiieren, wenn berechtigte Bedenken bestehen, dass die Gesundheit des Kindes oder der Mutter in Gefahr ist. Letztendlich geht es darum, eine vaginale Geburt zu ermöglichen und somit die Sectiorate zu senken. Eine „reine“ medizinische Einteilung der Indikationen ist nicht ganz so einfach. Die Amerikaner machen es sich einfach, indem sie eine Liste von Zuständen definiert haben mit erhöhter v. a. kindlicher, aber auch maternaler Morbidität und Mortalität (1). Einen ähnlichen Approach sieht man auch in den DACH-Leitlinien von 2019 (2).

Die Wechselwirkungen zwischen Mutter und Kind können bidirektional sein. So kann eine maternale Grunderkrankung die plazentare Funktion oder direkt die fetale Gesundheit beeinflussen oder die Fortführung der Schwangerschaft das Wohlbefinden der Mutter kurz- oder längerfristig negativ beeinträchtigen. Daneben gibt es auch nichtmedizinische Indikationen wie z. B. logistische (Distanz zur Klinik, spezielle fetale Fehlbildungen). In Tabelle 1 wurde versucht, diese verschiedenen Zustände und Indikationen in einer übersichtlichen Art und Weise zu gruppieren.

Ich habe extra das Alter der Schwangeren weggelassen, obwohl dies in vielen Richtlinien weiterhin als „hohes“ Risiko für einen intrauterinen Tod gezählt wird. Es erinnert mich zu sehr an die Anfangszeiten des Screenings nach Trisomie 21. Das dichotome ­Denken sollte endlich durch eine individualisierte Beurteilung der Situation abgelöst werden. Exemplarisch haben wir das ja beim Down Syndrom Screening durch eine multifaktorielle Integration derart perfek­tioniert, dass unsere Invasivrate zusammengebrochen ist und wir heute Mühe haben, Chorionzottenbiopsien oder Amniozentesen zu lehren. Ich bin der Meinung, dass wir einen ähnlichen Ansatz finden können, um auch die Notwendigkeit einer Geburtseinleitung individueller zu gestalten. Magee et al. (3) haben diesen Gedanken am Beispiel der Verhinderung einer Präeklampsie am Termin aufgenommen. Wir können ja heute mit dem PE-Screening im ersten Trimenon knapp 70 % der frühen Präeklampsien durch die Verabreichung von Aspirin verhindern. Bei den späten Präeklampsien funktioniert im Moment lediglich eine generelle Einleitung, bevor das Problem auftritt. In der viel diskutierten ARRIVE Studie (4), bei welcher Primiparae mit niedrigem Risiko randomisiert wurden in elektiver Geburtseinleitung zwischen 39+0 und 39+4 Wochen oder exspektativem Management, konnte neben der signifikanten Reduktion der Sectiorate auch eine deutliche Abnahme vom hypertensiven Schwangerschaftskomplikationen verzeichnet werden (9.1 % vs. 14.1 %; RR [95 % CI] 0.64 [0.56–0.74]). Das würde bedeuten, dass man 20 Frauen in der 40. Woche einleiten müsste, um eine Präeklampsie zu verhindern. Nun, mit dem Algorithmus aus dem Hause von Prof. Nicolaides (FMF London), basierend auf demographischen Parametern, Anamnese, mittlerem arteriellem Blutdruck und den Angiogenesemarkern PlGF und sFlt-1 in der 35.–36. Schwangerschaftswoche konnte berechnet werden, dass das Potenzial eine ­Präeklampsie am Termin (>37 Wochen) zu verhindern nach Einleitung von screenpositiven Fällen ganze 57.2 % war. Dafür müsste man lediglich 8.4 Frauen einleiten, um einen Fall mit später Präeklampsie zu verhindern (3). Das ist sicher ein sehr guter Ansatz, welcher prospektiv untersucht werden sollte, zumal die Präeklampsie, welche am Termin auftritt, zahlenmässig weit häufiger ist als die frühen Formen und diese Form v. a. in der 3. Welt eine der wichtigsten Ursachen für die sowieso hohe maternale Mortalität ist!

Es gibt aber auch klare Kontraindikationen für eine Einleitung, welche ebenfalls berücksichtigt werden müssen (siehe Tab. 2)

Ausgewählte klinische Indikationen

Ich habe mit der Tabelle 3 einige der wichtigsten Situationen mit Empfehlungen zusammengefasst. Bei den hypertensiven Erkrankungen und insbesondere bei der Präeklampsie verhält man sich in den letzten Jahrzehnten deutlich weniger aggressiv. Es ist klar, dass die Indikation zur Geburtsbeendigung (elektive Sectio, aber auch Einleitung) abhängig ist vom maternalen Zustand bzw. dem Schweregrad der Multiorganbeteiligung, vom Gestationsalter und vom fetalen Zustand. 

Bei schweren Verläufen wären 34 Wochen eine gute Grenze, während mildere Formen auch ab 37 Wochen eingeleitet werden könnten. Dies gilt auch für Frauen mit Gestationshypertonie. Bei chronischer Hypertonie könnte sogar ab 38 Wochen eingeleitet werden (2, 5, 6). Bei den metabolischen Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes mellitus oder Gestationsdiabetes ist nicht die Krankheit per se das Problem, sondern die „Kollateralschäden“ sind hier zu nennen, welche durch einen suboptimal kontrollierten Stoffwechsel vor und auch während der Schwangerschaft induziert werden. Beim Gestationsdiabetes mit oder ohne Insulin ist eine Einleitung vor 39 Wochen mit mehr neonatalen Hypo­glykämien assoziiert und sollte sehr zurückhaltend angeboten werden (7, 8). Präexistente vaskuläre Schädigungen (Nieren, Augenhintergrund, Polyneuro­pathie), eine schlechte präkonzeptionelle und suboptimale metabolische Einstellung während der Schwangerschaft erhöhen das Risiko für intrauterinen Fruchttod, Makrosomie und auch Fehlbildungen v. a. beim Typ-1-Diabetes. Speziell in diesen Situationen muss zwischen dem Risiko einer Frühgeburt und der intrauterinen Situation gut abgewogen werden. Früher hatte man auch die fetale Lungenreife aus dem Fruchtwasser abgeklärt. Wird heute kaum noch ­angeboten, zumindest in Bern nicht mehr.

Ein Zustand nach Fruchttod bleibt auch nach ­Ausschluss von begünstigenden Faktoren ein wich­tiger Risikofaktor. So ist das Wiederholungsrisiko doppelt so hoch verglichen mit einer Frau mit Lebendgeburt in der Vorschwangerschaft. Am höchsten ist das Risiko, wenn es ein früher Fruchttod war (22–28 Wochen). Nach 32 Wochen nimmt das Risiko wieder ab (9). Umso wichtiger ist es, bei Todgeburten eine sorgfältige und vollumfängliche Abklärung zu empfehlen.

Auch beim vorzeitigen Blasensprung (BS), v. a. beim frühen, haben sich die Schreckgeister etwas beruhigt, wenn man die neuesten Leitlinien der DACH-Vereinigung durchliest (2, 10). So wird eine Einleitung ab 37 Wochen bei pPROM empfohlen und innerhalb von 12 bis 24 h nach vorzeitigem Blasensprung am Termin. Tönt vernünftig, aber auch wir sind noch nicht soweit, beim sehr frühen BS vor 34 Wochen tatsächlich auch ein prolongiertes, exspektatives Vorgehen anzubieten. Bei einem BS zwischen 34 und 36+6 Wochen kann man gemäss randomisierten Studien und Expertenkonsensus eine Einleitung ab 37 Wochen anbieten, falls keine „Kontraindikationen“ bestehen. Seit Kurzem leiten wir beim VBS am Termin bereits nach 12 h ein bzw. wir warten nicht mehr einen ganzen Tag auf Wehen. Wir und andere haben die Erfahrung gemacht, dass viele Frauen innerhalb von 12 h Wehen entwickeln, anschliessend muss meist eine Einleitung empfohlen werden.

Bei Makrosomie gibt es in der Literatur nur vage Anhaltspunkte, welche helfen, einen guten Weg vorzuschlagen. Auch hier ist es wichtig, verschiedene Parameter zu berücksichtigen. Es reicht mir nicht, dass man nur das sonographische oder klinische Schätz­gewicht – mit den inhärenten und bekannten Schwächen – als Mass aller Dinge nimmt. Eine meiner ­provokativsten Studien war die Untersuchung des Geburtsmodus’ und Komplikationen von Kindern mit einem Geburtsgewicht >4500 g (11). Dort konnten wir ganz klar zeigen (quod erat demonstrandum), dass die Körpergrösse der Mutter ganz klar das Risiko einer Schulterdystokie alleine oder mit einer Plexusläsion signifikant mitbeeinflusst. In der Studie von Boulvain et al. (12) wurde dieses Konzept nicht aufgenommen, auch wenn nach BMI korrigiert wurde. Von dort wurde aber übernommen, dass ein Schätzgewicht >95. Perzentile ein Grund sein könnte, ab 38 oder 39 Wochen prophylaktisch einzuleiten.

Die Terminüberschreitung ist auch so eine lästige Entität, welche unsere Infrastruktur, neben den anderen mehr oder weniger wichtigen Indikationen, arg strapaziert. Durch die bessere Kontrolle und gegebenenfalls Korrektur des effektiven Gestationsalters im ersten Trimenon sind die Fälle von Frauen mit einer Übertragung (ab 42+0 Wochen) deutlich zurückgegangen. Heute fühlen wir uns schon ab 41+0 Wochen unwohl! Auch hier ist es wichtig, dass wir eine gute Aufklärung anbieten. Nochmals, das Ziel ist, die ­Sectiorate zu senken und eine vaginale Geburt zu erlauben. Dieser Sachverhalt funktioniert auch in ­diesem Kollektiv! Die viel zitierte ARRIVE-Studie (4) hat, wie bereits erwähnt, eine signifikante Senkung der Sectiorate nach Einleitung ab 39+0 Wochen zeigen können. Wenn man diese Studie etwas analysiert, gilt das eigentlich nur für Erstgebärende weisse Frauen mit einem BMI <30, jünger als 35 Jahre und mit einem Bishop Score <5 bei Beginn der Einleitung.

Verfahren der Geburtseinleitung

Für jede Geburtseinleitung müssen die jeweiligen individuellen Vor- und Nachteile identifiziert und gemeinsam mit der Schwangeren in einer umfassenden Beratung abgewogen werden. Für viele der unter Tabelle 1 zusammengestellten Indikationen gibt es aber kaum gute oder grössere Studien, welche es erlauben, zu einer massgeschneiderten und v. a. evidenzbasierten Entscheidung zu kommen. Auch die Wahl des Einleitungsverfahrens, d. h. mechanisch oder medikamentös (vaginal, oral oder intravenös etc.), spielt eine wichtige Rolle für den Erfolg, d. h. Erlauben einer vaginalen Geburt, Reduktion der Sectiorate, der Prozedur. Es würde den Rahmen sprengen, wenn ich hier auf die einzelnen Verfahren ebenfalls eingehe müsste. Dafür können Sie sich gut Referenz (2) zu Gemüte führen. Unter den Medikamenten spielen die Prostaglandine jedenfalls eine zentrale Rolle. Das PGE2 (Dinoproston) und PGE1 (Misoprostol) in verschiedenen Darreichungsformen und Konzentrationen haben sich bewährt. Vor allem das Misoprostol, welches jahrzehntelang als „off-label-use“ angeboten werden musste und nun in einer offiziellen (teuren) Form ­vorliegt, weist meines Erachtens die höchste Effektivität auf. Klar, bei Zustand nach Sectio oder anderen Uterusoperationen, welche das Cavum eröffnet haben, sollten sie nicht gegeben werden. Dort können mechanische Verfahren wie ein einfacher Foley-Katheter oder der teurere Doppel-Ballon-Katheter mit oder ohne Oxytocin zum Einsatz kommen. Auch die digitale Eipollösung (membrane sweeping) ab 38 Wochen wöchentlich ist ein untersuchtes Verfahren, welche die Wahrscheinlichkeit, dass man später einleiten muss, zu senken vermag. Bei unreifem Vaginalbefund sollten eher Prostaglandine (PGE1) eingesetzt werden, während ab einem Bishop-Score >5 oder 6 eher Oxytocin, am besten in Kombination mit einer Amniotomie, erwogen werden kann.

Schlusswort

Die Inzidenz der Geburtseinleitungen ist – wie die ­Sectiorate – kontinuierlich angestiegen und führt zu einer nicht unerheblichen Belastung der Infrastruktur, des Personals und nicht zuletzt auch der schwangeren Frau, insbesondere wenn wir wegen Kapazitätsgründen nicht gerade wie besprochen einleiten können. Oft führt die Indikationsstellung auch innerhalb des Teams zu Unstimmigkeiten und Diskussionen, was die allgemeine Verunsicherung der Frau sicherlich nicht verringert. Darum sollte eine solche Intervention gut durchdacht, gut indiziert, gut besprochen, gut dokumentiert und innerhalb des Teams kommuniziert werden. Es ist besser, wenn man der Schwangeren einen Zeitraum nennt als einen fixen Termin vereinbart. ­Studien, welche eine individualisierte Beurteilung und Indikationsstellung erlauben und helfen, das beste Verfahren für die jeweilige Indikation anzubieten, sind dringender denn je!

Literatur

1. ACOG Practice Bulletin No. 107: Induction of labor. Obstet Gynecol. 2009 Aug;114(2 Pt 1):386–397. doi: 10.1097/AOG.0b013e3181b48ef5. PMID: 19623003
2. S2k-Leitlinie Geburtseinleitung Version 2019-12-1
3. Magee LA et al. Preeclampsia Prevention by Timed Birth at Term. Hypertension. 2023 May;80(5):969–78. doi: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.122.20565. Epub 2023 Apr 10. PMID: 37035913; PMCID: PMC10112937
4. Grobman WA et al., Labor Induction versus Expectant Management in Low-Risk Nulliparous Women. N Engl J Med. 2018 Aug 9;379(6):513–23. doi: 10.1056/NEJMoa1800566. PMID: 30089070; PMCID: PMC6186292
5. AWMF 015/018 (S2k). Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen: Diagnostik und Therapie. AWMF 2019. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015–018l_S2k_Diagnostik_Therapie_hypertensiver_Schwangerschaftserkrankungen_2019-07.pdf, Stand: 15.01.2020
6. Broekhuijsen K et al., HYPITAT-II study group. Immediate delivery versus expectant monitoring for hypertensive disorders of pregnancy between 34 and 37 weeks of gestation (HYPITAT-II): an open-label, randomised controlled trial. Lancet. 2015 Jun 20;385(9986):2492–501. doi: 10.1016/S0140–6736(14)61998-X. Epub 2015 Mar 25
7. Alberico S et al., Immediate delivery or expectant management in gestational diabetes at term: the GINEXMAL randomised controlled trial. BJOG. 2017 Mar;124(4):669–77. doi: 10.1111/1471-0528.14389. Epub 2016 Nov 4. PMID: 27813240.
8. Worda K et al., Randomized controlled trial of induction at 38 weeks versus 40 weeks gestation on maternal and infant outcomes in women with insulin-controlled gestational diabetes. Wien Klin Wochenschr. 2017 Sep;129(17–18):618–24. doi: 10.1007/s00508-017-1172-4. PMID: 28168363
9. Nijkamp JW et al., Stillbirth and neonatal mortality in a sub­sequent pregnancy following stillbirth: a population-based cohort study. BMC Pregnancy Childbirth. 2022 Jan 4;22(1):11. doi: 10.1186/s12884-021-04355-7. PMID: 34983439; PMCID: PMC8725424
10. Berger R et al., Prevention and Therapy of Preterm Birth. ­Guideline of the DGGG, OEGGG and SGGG (S2k Level, AWMF Registry Number 015/025, September 2022) – Part 2 with Recommendations on the Tertiary Prevention of Preterm Birth and on the Management of Preterm Premature Rupture of Membranes. Geburtshilfe Frauenheilkd. 2023 May 4;83(5):569–601. doi: 10.1055/a-2044-0345. PMID: 37169014; PMCID: PMC10166648
11. Raio L et al., Perinatal outcome of fetuses with a birth weight greater than 4500 g: an analysis of 3356 cases. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2003 Aug 15;109(2):160-5. doi: 10.1016/s0301-2115(03)00045-9. PMID: 12860334
12. Boulvain M et al., Induction of labour versus expectant management for large-for-date fetuses: a randomised controlled trial. Lancet. 2015;385(9987):2600-5

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