Viele Menschen verspüren ständig starken Harndrang – das belastet. Doch es gibt Möglichkeiten, die Beschwerden zu lindern. Geschätzte zehn bis 20 Prozent der Erwachsenen leiden bereits in jüngeren bis mittleren Jahren an einer überaktiven Blase, mehr Frauen als Männer. Bei der älteren Bevölkerung hat wohl fast jede/r Zweite eine Reizblase. Botox® kommt in der Praxis immer mehr zum Einsatz, dies mit sehr guten Erfolgen – aber muss es immer gleich Botulinumtoxin sein? Der folgende Artikel beleuchtet die konventionellen konserva-tiven Optionen.
Wir greifen im urogynäkologischen Alltag immer mehr zu Botox® zur Therapie der hyperaktiven Reizblase, und diese Therapie ist auch sehr effizient. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Botox gemäss Cochrane-Empfehlung (1) ein Drittlinientherapeutikum sein sollte.
In erster Linie sollte ein Blasentraining erfolgen, danach eine medikamentöse Therapie angeboten werden, in der Praxis kombinieren wir diese beiden Massnahmen.
Menschen mit einer überaktiven oder schwachen Blase sind oft durch einen vermehrten Harndrang gezwungen, sofort die Toilette aufzusuchen, oder verlieren tröpfchenweise Urin, bevor sie die Toilette erreicht haben. Ein Blasentraining – auch Urotherapie genannt – kann dann helfen, zumindest teilweise die Kontrolle über ihre Blase wiederzuerlangen.
Die Blase kann durch ein Training lernen, sich stärker zu dehnen und mehr Harn zu speichern. Zu einem Blasentraining gehören auch verschiedene verhaltenstherapeutische Ansätze sowie ein konkreter Trink- und Toilettenplan.
Grundlage für ein Blasentraining ist ein Tagebuch. In einem solchen Tagebuch kann man aufschreiben
wie häufig man wann zur Toilette geht,
wie viel Urin dabei gelöst wird,
wie viel und vor allem auch welche Flüssigkeit man über den Tag verteilt trinkt.
Auch Angaben zu aktuellen Medikamenten und zu den Situationen, in denen unbeabsichtigt Urin verloren wurde, sind wichtig. Die Aufzeichnungen können bei einem Gespräch mit der behandelnden Person hilfreich sein und wichtige Alltagshinweise darauf liefern, welche Ursache hinter den Beschwerden stecken.
Vorbeugende Toilettengänge vermeiden: Wer vorbeugend in zu kurzen Abständen auf die Toilette geht, könnte die Beschwerden einer überaktiven Blase eventuell verschlimmern. Die Blase kann durch dieses Verhalten regelrecht darauf „trainiert“ werden, schon bei einer geringen Füllung Harndrang anzumelden. Der Beckenboden muss nicht mehr voll arbeiten und wird von der Kontraktilität schlechter.
Nicht sofort Wasser lassen: Auch wenn der Harndrang sehr stark ist, hält er meist nur einige Minuten an, dann beruhigt sich die Blase wieder. Die Blase nicht sofort zu entleeren, wenn sie sich meldet, kann man üben. Auch ruhig und langsam zur Toilette zu gehen – und nicht zu laufen – kann hilfreich sein.
Die Zeit zwischen den Toilettengängen ausdehnen: Es kann hilfreich sein zu versuchen, die Abstände zwischen den Toilettengängen auszudehnen, dies aber langsam und ohne Stress. Auch dabei kann ein Toilettenplan helfen. Dort kann man beispielsweise festhalten, dass man in den ersten Tagen versuchen will, fünf Minuten auszuhalten, bevor man auf die Toilette geht und diesen Rhythmus etwa eine halbe Woche lang beibehalten. Später kann der Zeitraum von den fünf Minuten dann auf zehn, 15 Minuten und schließlich noch länger ausgedehnt werden.
Wenn man versucht, nicht sofort dem Harndrang nachzugeben und die Zeit zwischen den Toilettengängen zu verlängern, sind einige Techniken hilfreich, mit denen man sich ablenken kann: Wenn sich die Blase meldet, hilft es, sich zu entspannen und sich mit positiven Vorstellungen abzulenken. So kann man sich etwa in Gedanken etwas vorsagen, beispielsweise: „In fünf Minuten werde ich auf die Toilette gehen, bis dahin werde ich an etwas Anderes denken“.
Hilfreich kann es sein, sich auf einen Stuhl zu setzen und den Oberkörper aus der Hüfte nach vorne zu beugen, als ob man die Schnürsenkel binden möchte. Diese Stellung hält man so lange aus, bis der Drang nachlässt. Durch die vornüber gebeugte Haltung ändern sich die Druckverhältnisse im Bauchraum und die Harnröhre kippt ab, sodass der Harndrang nachlässt.
Es hilft auch, im Sitzen mit geradem Rücken den Beckenboden anzuspannen und nach innen hoch zu ziehen (Beckenbodentherapie, ggfs. mit physiotherapeutischer Instruktion).
Viele Menschen mit einer schwachen Blase trinken zu wenig, weil sie Angst vor Urinverlust und sichtbaren Spuren auf Kleidung oder Mobiliar haben. Regelmäßigkeit hilft nicht nur bei der Entleerung, sondern auch beim Füllen der Blase.
Ausreichend Flüssigkeit ist wichtig: Ist der Wassergehalt des Urins zu gering, können die stark konzentrierten Bestandteile des Urins die Blasenschleimhaut angreifen. Dadurch wird diese auf Dauer gereizt und die Beschwerden können sich verschlimmern.
Trinken Sie zu oder vor jeder Mahlzeit. Es ist empfehlenswert, vor jeder Mahlzeit ein bis zwei Gläser Wasser ohne Kohlensäure zu trinken. Dazwischen sind Säfte, tagsüber in geringen Mengen auch Kaffee und schwarzer Tee, möglich.
Um die Nachtruhe so wenig wie möglich zu stören, kann es helfen, ab etwa zwei Stunden vor dem Schlafengehen weniger oder gar nichts mehr zu trinken.
Kaffee, schwarzer oder grüner Tee und alkoholische Getränke wirken harntreibend. Aber auch Nieren- und Blasentees oder Brennnesseltee verstärken die Urinbildung. Direkt vor dem Schlafengehen ist es hilfreich, diese Getränke komplett zu meiden.
Auch vor sozialen Aktivitäten, bei denen man viel unterwegs ist, kann es hilfreich sein, auf harntreibende Getränke zu verzichten.
Wieviel sollte man nun trinken? Es gibt da keine feste Regel, aber ein Anhaltspunkt sind 30 ml/kgKG, bei Hitze natürlich mehr.
Als klassische medikamentöse Therapien kommen grundsätzlich drei Stoffgruppen infrage:
Muskarin-Rezeptor-Antagonisten
Die Muskarin-Rezeptor-Antagonisten sind Substanzen, die die Kontraktion der Blase reduzieren und den Harndrang lindern. Es kommen hier infrage:
Die Nebenwirkungen sind in der Regel mild, können aber Mundtrockenheit, Verstopfung und insgesamt trockene Schleimhäute beinhalten, was zum Therapieabbruch führen kann.
Solifenacin, Darifenacin und Fesoterodin können als neuere Anticholinergika auftitriert werden. Wir beginnen mit der niedrigeren Dosis und steigern diese nach drei bis vier Wochen bei ungenügendem Ansprechen.
Oxybutynin sollte bei älteren Personen wegen der zentralen Nebenwirkungen nicht mehr rezeptiert werden, die Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten steht hier an erster Stelle.
Desmopressin vermindert den Urinoutput (ADH; Antidiuretisches Hormon) und kann als Tablette, Nasenspray oder Schmelztablette am Abend bei idiopathischer Nykturie oder Bettnässen eingesetzt werden. Es sollte in Verbindung mit Flüssigkeitsrestriktion ab 17.00 Uhr angewendet werden und erfordert eine Überwachung des Blutdruckes und der Serumelektrolyte.
Beta-3-Agonisten sind erst in den letzten Jahren in der Therapie der hyperaktiven Blase aufgetaucht und bieten pharmakologisch einen neuen Ansatzpunkt: den Sympathikus.
Beta-3-Agonisten sind Sympathomometika, die die Kontraktionen der Harnblase über den Sympathikus und Aktivierung der Betarezeptoren hemmen. Die Wirksamkeit ist denen der Anticholinergika sehr ähnlich, es gibt aber deutlich weniger Nebenwirkungen als bei letzteren.
Aktuell ist auf dem Schweizer Markt Mirabegron® in zwei Dosierungen (25 mg und 50 mg) möglich, ein synergistischer Effekt mit Solifenacin bei fehlender Zunahme der Nebenwirkungen ist in Studien belegt und in der klinischen Anwendung bewährt.
Eine Kombination von Mirabegron mit Solifenacin ist möglich, dies mit einer Wirkverstärkung ohne Addition der Nebenwirkungen.
Weitere Beta-3-Agonisten sind aktuell in der Erprobung mit vielversprechenden präklinischen Daten.