Der „Endotest®“ zur nichtinvasiven Diagnose einer Endometriose: Ready for prime time?
Seit Kurzem wird ein Test zur Diagnose einer Endometriose angepriesen (Abb. 1).
In einer Speichelprobe der Patientinnen wird das Expressionsmuster von 109 verschiedenen sogenannten Mikro-RNAs, die für Endometriose typisch seien, mittels eines Flüssigbiopsie-Tests untersucht und behauptet, dass eine frühzeitige und zuverlässige Diagnose aller Arten einer Endometriose mit einer höchsten diagnostischen Zuverlässigkeit möglich sei mit einer Testsensitivität von 97 % und einer Testspezifität von 100 %.
Ein Test, der mit so vielen Superlativen beworben wird, stellt eigentlich einen Quantensprung dar. Aber stimmt dies wirklich? Und wie sind die Begriffe Sensitivität und Spezifität ohne Kenntnisse der Studie einzuordnen?
1. Was sind Mikro RNAs?
Mikro-RNAS sind kurzkettige, hoch konservierte, nicht-kodierende Ribonukleinsäuren, die eine wichtige Rolle in dem komplexen Netzwerk der Genregulation spielen. Im Allgemeinen weisen Mikro-RNAs eine Größe von nur 21 bis 23 Nukleotiden auf. Sie lassen sich u. a. im Blut und auch im Speichel nachweisen, wo ihr Expressionsmuster auf bestimmte Zellen wie Krebs- und auch Endometriosezellen hinweist.
2. Was für Studien gibt es zu Mikro-RNAs?
Die Verwendung von Mikro-RNAs zur Diagnose verschiedener Entitäten ist nicht neu.
So wurden Speichelproben als Biomarker u. a. zur Diagnose von Karzinomen im Bereich von Kopf, Hals, Kolon und Rektum getestet (Rapado-Gonzalez O et al., J. Clin. Med. 2019; 8:2029).
Auch gibt es 12 Studien, bei denen Mikro-RNAs im Plasma als Biomarker für die Endometriose, allerdings mit sehr widersprüchlichen Ergebnissen, untersucht wurden.
Eine Studie aus dem bekannten Endometriosecenter of Excellence in Leuven sticht dabei hervor. Mittels Plasma-Mikro-RNA wurden in einer ersten Kohorte mit 60 Endometriosepatientinnen und 30 Kontrollen 42 Mikro-RNAs identifiziert, die zwischen Patientinnen mit einer bzw. ohne eine Endometriose unterscheiden konnten. Die Resultate wurden in einer zweiten unabhängigen Vergleichskohorte mit 60 Endometriose-Patientinnen und 30 Kontrollen validiert.
Das Kollektiv mit einer gering ausgeprägten Endometriose hatte zwar eine genügende diagnostische Power, die Ergebnisse der Studie waren aber eher enttäuschend mit einer zwar noch akzeptablen Sensitivität von 78 %, aber einer geringen Spezifität von 37 % (Vanhie A et al., Hum. Reprod. 2019; 34:1650).
Eine aktuelle Metaanalyse zur Verwendung von Mikro-RNAs zur Diagnose einer Endometriose aus dem Jahr 2022 (Zafari et al., Exp Rev Mol Diagn 2022; 22:479–95) zeigt hingegen, dass Mikro-RNAs das Potenzial als nicht-invasiver Biomarker haben, aber bisher „nur“ mit einer Sensitivität von 82 % und Spezifität von 79 %.
3. Auf welchen Studienergebnissen beruhen die Aussagen der Werbung für den Endotest®?
Die genannten Daten stammen aus einer einzigen klinischen Studie, die wir etwas genauer analysieren möchten (Bendifallah S et al:; J. Clin. Med. 2022; 11:612).
Die Autoren des neuen Tests, der mit Speichel statt mit Plasma durchgeführt wird, behaupten, dass Speichel methodische Vorteile hätte.
200 Speichelproben von 200 Frauen mit chronischen Unterbauschmerzen und dem Verdacht auf eine Endometriose wurden untersucht. Von den 200 Frauen hatten 76,5 % eine Endometriose und 23,5 % waren endometriosefrei. Die Diagnose einer Endometriose beruhte auf einer Laparoskopie oder einer MRI-Untersuchung.
Im ersten Teil wurden mögliche Biomarker basierend auf einem einem Mikro-RNA-Expressions-Profiling mittels New Generation Gene Sequencing (NGS) identifiziert.
In einem zweiten Schritt wurden die Biomarker zu einer Mikro-RNA-Signatur zusammengefasst, die für die Diagnose einer Endometriose-Signatur vielversprechend ist. Überprüft wurde die Signatur an dem Datensatz, aus dem auch die Signatur hervorging.
Es wurde eine Testsensitivität von 97 % und eine Testspezifität von 100 % erzielt. Sensitivität bedeutet, dass die Endometriosefrauen tatsächlich als solche erkannt wurden. Spezifität bedeutet, dass die Frauen ohne eine Endometriose als solche identifiziert wurden.
Was sind die Kritikpunkte an dieser Studie?
Die Signatur muss zwingend an einem anderen Kollektiv von Frauen überprüft werden.
Das Kollektiv ist ein „Schmerzkollektiv“. Nur 17 % bis 24 % hatten eine Sterilität (zusätzlich) zu den Schmerzen.
Alle Kontrollpatienten hatten eine Laparoskopie, aber nur 54,2 % der Endometriose-Patientinnen (bei allen anderen wurde ein MRI durchgeführt).
48 % der Endometriose-Patientinnen litten an einer tiefinfiltrierenden Endometriose mit kolorektaler Beteiligung oder an Endometriosezysten. Insgesamt hatten somit nur 79 Patientinnen eine minimale bis mässiggradige Endometriose. Genau diese Patientinnen-Gruppe würde am meisten von einem nicht-invasiven Test profitieren.
Die Autoren selbst betonen, dass eine Validierung der Studienergebnisse durch andere Forschungsgruppen indiziert sei.
4. Warum wird der Test als eine Flüssigbiopsie angepriesen?
Durch die Deklarierung des Tests als Biopsie ist er kassenpflichtig. Dieser Trick ermöglicht es, den teuren Test zu einem Preis von CHF 781,50 über die Kassen abzurechnen, ohne den langen Weg einer Anerkennung als Pflichtleistung gehen zu müssen.
Was bedeutet dies im klinischen Kontext? Ultraschall, MRI und Laparoskopie adieu? Oder wie steht es mit der derzeitigen Evidenz für den Endotest®?
Die Autoren des neuen Tests mit Speichel statt Plasma als Untersuchungsmaterial behaupten zwar, dass diese Proben methodische Vorteile hätten.
Die vielversprechenden Daten (Treffsicherheit) stammen aber aus nur einer einzigen klinischen Studie, in welcher, wie oben erwähnt, fast die Hälfte der Patientinnen an einer mittelschweren bis schweren Endometriose litten, das heisst einem Stadium, in welchem eine Endometriose klinisch oder bildgeberisch diagnostiziert werden kann und somit kein zusätzlicher Test notwendig ist.
Des Weiteren: Die Autoren selbst betonen, dass eine Validierung dieser Ergebnisse durch andere Forschungsgruppen indiziert sei (Bendifallah S et al., J. Clin. Med. 2022; 11:612).
Der Endotest® verspricht sehr viel, aber seine Zuverlässigkeit (Treffsicherheit) ist noch nicht abgesichert.
Ungeklärt ist, ob er auch für Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch (ohne Schmerzen) sinnvoll einsetzbar ist.
1. Patientin mit unerfülltem Kinderwunsch und bisher nicht geklärter Ätiologie:
Der Endotest® ist positiv: Wie behandele ich?
Sicher nicht medikamentös (cf. Tipps und Tricks in
diesem Heft), also laparoskopisch: War dann der Endotest® nicht überflüssig?
Der Endotest® ist negativ: Sollte nicht trotzdem laparoskopiert werden (andere fragliche pathologische Befunde, evtl. doch Endometriose)?
2. Patientin mit Beschwerden:
Sowohl Ultraschall wie auch MRI sind sehr zuverlässig bei einer fortgeschrittenen Endometriose. Das bedeutet, dass eine sinnvolle Indikation für diesen kostspieligen Test innerhalb des diagnostischen und therapeutischen Managements der Endometriose erst noch erarbeitet werden muss, vorausgesetzt, er erfüllt die Ansprüche an seine Zuverlässigkeit überhaupt.
1. Ultraschall mit Nachweis einer Endometriosezyste:
Patientin ohne Kinderwunsch: Suppression mittels Ovulationshemmern oder Gestagene bis zum Kinderwunsch, regelmässige Kontrollen mittels Ultraschall.
Patientin mit Kinderwunsch: Eine Laparoskopie kann diskutiert werden (siehe Tipps und Tricks in diesem Heft).
2. Ultraschall ohne Hinweis für eine Endometriose
Patientin ohne Kinderwunsch: empirische
medikamentöse Therapie (kontinuierliche COC’s oder Gestagene).
Falls erfolglos: Ein MRI oder eine diagnostische Laparoskopie kann mit der
Patientin diskutiert werden.
Patientin mit Kinderwunsch: Laparoskopie in einem Zentrum, in dem eine allfällige Endometriosesanierung in einem Schritt durchgeführt werden kann.
Warten auf eine Bestätigung der Treffsicherheit des Endotest®
Ist der Endotest® also bereit für die Praxis?
Aufgrund der vorhandene Datenlage derzeit nicht!