Sexualität nach Krebserkrankungen Dr. med. Eliane Sarasin Ricklin im Gespräch mit Prof. Martin Heubner und Prof. Cornelia Leo
Eliane Sarasin ist in Basel aufgewachsen und hat an der dortigen Universität Medizin studiert. Die Ausbildung zur Gynäkologin absolvierte sie hauptsächlich unter Prof. M. K. Hohl am Kantonsspital Baden. 1996/97 erwarb sie den Fähigkeitsausweis „psychosoziale und psychosomatische Medizin“ an der Universität Zürich. 2002 wechselte sie von Baden an das neueröffnete Brustzentrum ins Zürcher Seefeld, wo sie noch immer, wenn auch mit sehr reduziertem Pensum, tätig ist. 2012/13 Absolvierung des DAS (Diploma of advanced studies) in Sexualmedizin an der Universität Basel und ab 2014 Konsiliarärztin für Sexualmedizin an der Klinik für Reproduktionsendokrinologie des Universitätsspitals Zürich. Seit 2020 arbeitet sie nun mehrheitlich im neu gegründeten „Swiss Breast Care“ in der Klinik Bethanien in Zürich. Eliane Sarasin ist begeisterte Mutter von zwei Medizinstudenten und lebt in Zürich.
Frauenheilkunde aktuell: Du hast ein sehr breites fachliches Spektrum: Du bist Gynäkologin, Senologin, machst genetische Beratungen sowie psychosomatische Medizin und Sexualmedizin. Gibt es einen Schwerpunkt, der Dir ganz besonders am Herzen liegt, oder ist es gerade die Kombination, die den Reiz für Dich ausmacht?
Eliane Sarasin: Während ich mich von der allgemeinen Gynäkologie etwas entfernt habe, so bleibt die Senologie mein „Kerngeschäft“. Brustkrebs von der Prävention bis hin zur Diagnose und Therapie mit allen bio-psycho-sozialen Konsequenzen beschäftigt mich seit meiner Ausbildungszeit und liegt mir besonders am Herzen. So war es nur konsequent, mich zusätzlich in der Thematik des hereditären Brust- und Eierstockkrebs-Syndroms weiterzubilden und auch im Gebiet der Sexualmedizin, um meinen Patientinnen auch in diesen beiden Bereichen beratend zur Seite stehen zu können. Die individuell unterschiedliche Bedeutung der Erkrankung abhängig von Lebenssituation und -konstellation interessiert mich und ich versuche jeder Betroffenen die für sie passende und notwendige fachliche Begleitung auf dem Behandlungspfad zu bieten.
Gab es besondere Erfahrungen in Deiner Laufbahn, die Dich und Deinen Werdegang entscheidend geprägt haben?
Onkologie hat mich bereits während dem Studium interessiert und fast hätte mich dies bewogen, eine internistische Laufbahn anzustreben. Dank meiner Ausbildungsjahre bei Professor Hohl am Kantonsspital Baden, „meiner gynäkologischen Wiege“, hatte ich das Glück, mich bald auf die gynäkologische Onkologie konzentrieren zu dürfen. Dazu gehörten insbesondere Indikationsstellung und Durchführung der adjuvanten Behandlungsmöglichkeiten inklusive Chemotherapie in Kollaboration mit den medizinischen Onkologen, die Nachsorge, aber auch die Begleitung der Patientin in der Palliativsituation, nicht selten bis zum Tod. Mein Schwerpunkt lag nicht auf der Chirurgie, sondern eben auf den konservativen onkologischen Behandlungsmöglichkeiten und ich schätzte insbesondere die kommunikative Auseinandersetzung mit meinen Patientinnen, welche ich herausfordernd wie bereichernd empfand. Professor Hohl gab mir die Möglichkeit, aber auch die Freiheit, mich intensiv und breit weiterzubilden, in dieser Zeit erwarb ich auch den Fähigkeitsausweis der Schweizerischen Akademie für psychosomatische und psychosoziale Medizin. Den postgraduierten Lehrgang in Sexualmedizin und-therapie der Universität Basel absolvierte ich dann später, als ich beim Aufbau des ersten Brustzentrums der Schweiz im Zürcher Seefeld, ein lange gehegter beruflicher Traum, mitwirken durfte.
Es gibt verhältnismässig wenige gynäkologische Kollegen, die sich intensiv mit Sexualmedizin beschäftigen. Würdest Du Dir wünschen, dass dieser Bereich mehr Aufmerksamkeit in der Facharztausbildung erfährt?
Bedauerlicherweise findet das Thema Sexualität im Studium wie auch in der Weiterbildung wenig bis gar keinen Platz. Besonders erstaunlich ist, dass sogar im naheliegenden Gebiet der Gynäkologie und Geburtshilfe Sexualität, wenn überhaupt, auf sexuelle Funktionsstörungen reduziert wird. Unbestritten sind diese häufig, aber Sexualität ist viel mehr als Funktion. Sie kann eine Ressource im Leben sein, hat aber auch sehr wohl dunkle Seiten, man denke nur an Emotionen wie Scham, Angst und Ekel. Gerade in der Krankheit, aber auch im Alter, können diese unterschiedlichen Bedeutungen noch an Wertigkeit gewinnen. Ich wünschte mir, dass sexuelle Gesundheit einen höheren Stellenwert in der Medizin bekommt und auch bei der Behandlung unserer Patienten berücksichtigt wird. Meist erlebe ich eine grosse Hilflosigkeit und Überforderung unter meinen Kollegen, sodass Gespräche über Intimität und Sexualität mit den Patientinnen vermieden werden. Gleichwohl wissen wir, dass ein Ansprechen der Thematik von unseren Patientinnen gewünscht wird. Entgegen der verbreiteten Meinung, dass in der Gegenwart einer bedrohlichen Krankheit oder auch im Alter der Wunsch nach körperlicher Nähe schwindet, lässt sich dies in Umfragen nicht bestätigen.
Wir hatten in gleicher Zusammensetzung schon einmal eine Gesprächsrunde über Sexualität bei Tumorerkrankungen. Gerade in unserem Fach, in dem Erkrankungen der Brustdrüse und der Geschlechtsorgane eine grosse Rolle spielen, liegt die Verbindung zur Sexualmedizin nahe. Was sind die häufigsten Fragestellungen und Probleme, mit denen Du konfrontiert bist?
(Weibliche) Sexualität wird gesellschaftlich meist mit Jugend, Schönheit und Unversehrtheit assoziiert und dabei spielt die weibliche Brust eine prominente Rolle. So wundert es nicht, dass Brustkrebsbetroffene sich nicht nur des Lebens bedroht, sondern auch in ihrer sexuellen Attraktivität angegriffen fühlen. Die notwendige Therapie geht nicht ohne Veränderung des Körperbildes einher und nicht allen Frauen gelingt die Anpassung an die neue Wirklichkeit oder es braucht Zeit und professionelle Unterstützung. So sind Gespräche über Lustlosigkeit oder Angst um die Partnerschaft und Begleitung auf dem Weg zu einem neuen und gestärkten (sexuellen) Selbstverständnis sehr häufig. Ein weiteres Thema in der sexualmedizinischen Sprechstunde ist das meist iatrogen verursachte urogenitale Menopausensyndrom, welches nicht selten den sexuellen Akt verunmöglicht und intensive Therapie braucht. Schade nur, dass die Frauen oft erst relativ spät im Behandlungsprozess Hilfe aufsuchen und vor Beginn der Chemo- respektive Antihormontherapie wenig Instruktion zur Prävention der Beschwerden des lokalen Hormonentzugs erhalten. Nicht zuletzt ist die Sprechstunde auch für die Partner da, welche zwar nicht erkrankt, aber betroffen sind. Manchmal erscheinen diese allein und häufig zusammen als Paar.
Es ist mir ein grosses Anliegen, die Kommunikation über die erlebten Veränderungen zu fördern, damit das Paar eine für beide stimmige Intimität entwickeln kann, welche der aktuellen Lebenssituation gerecht wird.
Würdest Du Dir andere Versorgungsstrukturen und Angebote für Patientinnen mit Krebserkrankungen wünschen?
Selbstverständlich wünsche ich mir das stärkere Bewusstsein unter uns Ärzten, dass Sexualität nicht nur für gesunde, sondern auch ein Bedürfnis für unsere Patienten und zwar unabhängig vom Geschlecht und Alter sein kann. Die Pflegewissenschaften haben dies bereits realisiert und berücksichtigen die Thematik im Rahmen von Weiterbildungen, was ich sehr begrüsse und nicht selten mit Workshops unterstützen darf. Sexualmedizin, welche gemäss dem bio-psycho-sozialen Modell alle drei Dimensionen berücksichtigt und die Kenntnis über aktuelle somatische, pharmakologische wie psychotherapeutische Therapiemodalitäten beinhaltet, wünsche ich mir in ärztlicher Hand. Bei den onkologischen Patienten sollten die negativen Folgen auf die Sexualität durch die Tumortherapie mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie alle anderen Nebenwirkungen behandelt werden. So bräuchte es mehr niederschwellige Angebote einer sexualmedizinischen Unterstützung für die Patienten und auch deren Partner und ausserdem eine bessere Akzeptanz dieses interdisziplinären Fachgebiets innerhalb der Ärzteschaft. Wo ich auch noch Bedarf sehe, ist die Implementierung von mehr onkologischen Rehabilitationsprogrammen stationär wie ambulant. In Deutschland gibt es deutlich mehr Angebote, auch mit Berücksichtigung der ganzen betroffenen Familie. Ich bin mir sicher, dass solche die Wiedereingliederung in den Alltag, v.a. den beruflichen, deutlich erleichtern und so auch kosteneffektiv sein können.