Als die erste „Pille“ Anovlar 1960 auf den Markt kam, war dies eine Sensation und es war eine Re-volution in der Geschichte der Verhütung. Emanzipation, sexuelle Revolution, Selbstbestimmung der Frau – gesellschaftliche Aspekte sind mit der Pille verknüpft, die weit über den Nutzen für die einzelnen Anwenderinnen hinausgeht. Über die letzten Jahrzehnte gab es unzählige Weiterent-wicklungen, und insbesondere in der letzten Dekade sind viele Alternativen zum klassischen kom-binierten oralen Kontrazeptivum (COC) populär geworden. Dennoch: Orale Kontrazeptiva haben auch nach über 60 Jahren ihren Stellenwert in der Verhütung nicht verloren. 31 % der Schweizerin-nen verhüten nach wie vor mit einem oralen Kontrazeptivum (1). Der Anteil der Frauen ist allerdings seit Jahren rückläufig: Besonders bei Frauen unter 35 Jahren kam es zu einem Rückgang der Ver-wendung einer oralen Kontrazeption von1992 bis 2017 von 67 % auf nur noch 45 %.
Wichtige Gründe für die abnehmende Tendenz sind unter anderem eine allgemeine Hormonmüdigkeit und auch negative Berichterstattung in den Medien. Auch langwirkende Verhütungsmethoden, hier vor allem die Spiralen, sind in der Altersklasse unter 35 Jahren immer beliebter geworden. Aber auch mit steigendem Alter und bei Frauen mit abgeschlossener Familienplanung wird zunehmend mit einer Spirale verhütet (2). So ist die zweithäufigste Verhütungsmethode für Schweizer Frauen mit 12 % die Verhütung mit einer Spirale. Hier spiegelt sich auch die Beratungspraxis vieler Gynäkologinnen wider: da die Risiken durch die Pilleneinnahme mit zunehmendem Alter steigen, hier insbesondere das Thromboembolierisiko, wird häufig zu einer Spirale geraten.
Im Folgenden werden zunächst Präparate vorgestellt, die neue Alternativen für verschiedene Altersgruppen mit Kontrazeptionsbedarf darstellen. Insbesondere soll das Augenmerk auf ein ganz neues Östrogen gelenkt werden, welches sich perspektivisch auch für die Hormonersatztherapie (HRT) eignen wird. Ferner werden aktuelle Studiendaten zu bereits etablierten Pillen mit natürlichem Östradiolanteil zum Thema Thromboserisiko präsentiert.
Seit Mai 2021 ist mit Slinda® eine neue Progesteron-Only-Pille (POP) mit 4 mg Drospirenon (DRSP) auf dem deutschen Markt verfügbar. Die Zulassung in der Schweiz wird im Sommer 2022 erwartet. Die neue Pille kann als Alternative zur bisherigen „Stillpille“ mit Desogestrel (DSG) 0.075 mg (z. B. Cerazette®) angesehen werden. Im Vergleich zur bisherigen POP kommt in Slinda® ein 24/4-Schema mit zum Einsatz. Der Anteil der Placebopillen wurde bewusst gering gehalten. So sollen ein zyklisches Blutungsmuster und weniger Zwischenblutungen erreicht werden. In einer prospektiven Doppelblindstudie wurden die beiden POP Desogestrel 0.075 mg und DRSP 4 mg auf irreguläre Blutungen über neun Einnahmezyklen untersucht. Die Autoren konnten in der DRSP-Gruppe weniger ungeplante Zwischenblutungen zeigen, signifikant weniger Drop-Out aufgrund von Zwischenblutungen und insgesamt eine deutlich höhere Zufriedenheit nachweisen (2).
Der DRSP-Anteil liegt bei der doppelten Ovulationshemmdosis. So wird eine sehr zuverlässige kontrazeptive Sicherheit von Slinda® mit 4 mg DRSP erreicht. Dies wurde in einer Multicenter-Phase-III-Studie mit 1571 Frauen nachgewiesen, der Pearl-Index lag bei 0,73 (3). Durch die lange Halbwertszeit von DRSP bietet Slinda® als erstes POP auch bei einem Vergessen einer Pille von 24 weiterhin eine sichere Kontrazeption. Natürlich ist aber auch bei Slinda® die zuverlässige Einnahme des A und O der kontrazeptiven Sicherheit. Und auch bei adipösen Patientinnen mit einem BMI >30 konnte die hohe kontrazeptive Sicherheit bestätigt werden (5).
Drospirenon ist ein antiandrogenes Gestagen mit antimineralokortikoider Partialwirkung. Ein Einfluss auf das Körpergewicht konnte zwar leider nicht nachgewiesen werden, dafür aber ein positiver Effekt auf einen milden Hypertonus (3, 4, 6). Ebenso entwickelten weniger Patientinnen unter der Einnahme von DRSP mono eine neue Akne (2), was wiederum auf die antiandrogene Wirkung zurückzuführen ist und zu einem niedrigeren Drop-Out bei Neustarterinnen führte im Vergleich zu DSG.
Auch die kardiovaskuläre Sicherheit wurde in mehreren Studien überprüft. Bisher kam es weder zu venösen noch arteriellen Thrombosen (6). Somit steht mit der Drosperinon-Mono-Pille eine weitere reine Gestagen-Pille zur Verfügung. Bei Wunsch nach antiandrogenen Effekten kann sie eine gute Option sein, auch hinsichtlich der Zyklusstabilität scheint sie Vorteile zu haben.
Zusätzlich ergibt sich die Möglichkeit, dieses Mono-Präparat als Gestagenkomponente im Rahmen einer HRT einzusetzen. Kombinationspräparate für diese Indikation gibt es schon länger (Angeliq®), nun jedoch ergäbe sich auch die Möglichkeit der Kombination mit einem transdermalen Östrogenpräparat (off-label).
Seit Juni 2021 ist mit Drovelis® mit 3 mg Drospirenon und 14,2 mg Estetrol ein weiteres neues Produkt mit einer erstmalig eingesetzten Östrogenvariante auf dem deutschen Markt verfügbar. Die neue Pille ist im zyklischen Einnahmeschema von 24-hormonhaltig/4-placebo erhältlich. Die Zulassung für die Schweiz wird im Sommer 2022 erwartet.
Drospirenon ist als antiandrogenes Gestagen schon viele Jahre in Kombinationspräparaten und wie oben beschrieben neu auch als Monopräparat verfügbar. Was ist aber Estetrol bzw. E4?
E4 ist ein natürliches Hormon, welches ausschliesslich von der fetalen Leber produziert wird. Bereits 1965 wurde es bei schwangeren Frauen isoliert und seine biochemische Struktur nachgewiesen. E4 besitzt, wie der Name schon sagt, vier Hydroxylgruppen-OH-Gruppen und weist dadurch unterschiedliche Eigenschaften im Vergleich zu den bisher in der oralen Kontrazeption eingesetzten Ethinylestradiol- und Estradiolderivaten auf.
Nach oraler Absorption von E4 konnte im Tiermodell eine orale Bioverfügbarkeit von E4 von >70 % gezeigt werden mit einer geringen inter-individuellen Variabilität. Die Halbwertszeit liegt bei ca. 24 h (7). Aufgrund dieser Eigenschaft ist E4 für den täglichen Einsatz in einer Einmalgabe sehr geeignet.
E4 wird nicht über Cytochrom-P450-Enzyme metabolisiert und auch nicht in aktive Metabolite verstoffwechselt (z. B. Estron, Estradiol). Es wird hauptsächlich renal ausgeschieden und stellt somit ein Endprodukt des Steroidstoffwechsels dar.
Ebenso konnte gezeigt werden, dass E4 die Produktion von sexualhormonbindendem Globulin (SHBG) nicht steigert und auch nicht an SHBG bindet (7). Daraus resultiert eine hohe freie Aktivität von E4 im Vergleich zu EE und E2-Derivaten.
Durch das weitgehend neutrale Verhalten von E4 in Bezug auf Leberfunktion, Metabolismus und Interaktion mit Cytochrom P450 kommt es zu einem geringen Einfluss auf die Hämostase und auf Interaktionen mit anderen Medikamenten (8). Hierdurch ist ein günstiger Einfluss auf das Thromboembolierisiko zu erwarten.
Die kontrazeptive Sicherheit, Zyklusstabilität und das Nebenwirkungsprofil der Kombination aus 15 mg E4und 3 mg DRSP wurden in zwei Phase-III-Studien untersucht (9, 10) und hat sehr positive Ergebnisse gezeigt.
Insgesamt wurden mehr als 7000 Teilnehmerinnen zwischen 16 und 50 Jahre eingeschlossen. Auch Raucherinnen bis 35 Jahre und Frauen mit einer Adipositas bis zu einem BMI von ≤35 kg/m² gehörten zum Studienkollektiv. Der Pearl-Index lag bei 0,44. Im gesamten Studienkollektiv wurde eine einzige Thrombose nachgewiesen. Eine geplante Entzugsblutung in der Pillenpause hatten 92–94 % der Studienteilnehmerinnen. Zwischenblutungen traten in den ersten Einnahmezyklen bei 23–30 % der Studienteilnehmerinnen auf und stabilisierten sich mit zunehmender Einnahmedauer bei ca. 16 %. Mehrere Studien zum Thema Thrombosesicherheit unter COC mit speziellem Augenmerk auf die neue Kombination aus E4/DRSP werden demnächst veröffentlicht. Die bisherigen Daten unterstützen die bisherigen Daten aus den schon bekannten Veröffentlichungen.
Ist E4 ein Östrogen für die HRT? Auch hier zeichnen die ersten Daten ein positives Bild (11): signifikante Reduktion der Schwere und Frequenz von Wallungen, günstiger Einfluss auf den Knochenstoffwechsel, neutrales Verhalten zum Triglyceridstoffwechsel, Steigerung von HDL, verbesserte Glucosetoleranz und kein Einfluss auf die Hämostase. Somit gibt es vielleicht bald eine neue, gute und sichere Alternative für die orale HRT.
An kombinierten Pillen gibt bereits eine breite Palette an langjährig eingesetzten und bewährten Präparaten. 2009 und 2011 wurden mit Qlaira® und Zoely® zuletzt zwei neue kombinierte Pillen mit einem Östrogenanteil aus Estradiolvalerat bzw. micronisiertem Estradiol zugelassen, die eine Alternative bei Wunsch nach einer „natürlicheren“ kombinierten Verhütung darstellen und sich in der praktischen Anwendung bewährt haben. Bisher galten die gleichen Risiken bzgl. des Thromboserisikos wie für die sogenannten Pillen der dritten Generation. Zwei aktuelle Beobachtungsstudien sind nun genau dieser Frage nachgegangen und haben die Risiken von östradiolhaltigen Kombinationspräparaten mit dem Standardpräparat mit Ethinylestradiol/Levenorgestrel verglichen. In der INAS-Score (12) wurden 10 191 Frauen eingeschlossen, die entweder mit E2/DNG Qlaira® verhüteten oder mit einem EE/LNG-haltigen Präparat. In der 2021 veröffentlichen Pro-E2-Studie (13) wurden 49 598 Frauen unter NOMAC/E2 Zoely® mit 51 900 Frauen verglichen, die mit einer EE/LNG-haltigen Methode verhüteten. Beide Studien kamen zu dem Ergebnis, dass sich das venöse und das arterielle Thromboembolierisiko für die Präparate mit natürlichem E2 nicht von dem für die Präparate mit EE/LNG unterschied.
Die SGGG hat (14) 2021 den Expertenbrief zum Thromboserisiko unter COC aktualisiert und für Qlaira® und Zoely® nach wie vor das Risiko wie für die Drittgenerationspillen postuliert. Mit den neuen Studien ist jedoch in Kürze mit einer Anpassung des Risikos auf das Niveau von einer LNG-haltigen Pille zu rechnen.