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Mehrlingsschwangerschaft

Die Inzidenz von Mehrlingen hat auch in der Schweiz kontinuierlich zugenommen. Seit 2016 ist der Prozess aber rückläufig (Abb. 1). Dies lässt sich u. a. durch einen beinahe 50%igen Rückgang von Mehrlingsschwangerschaften nach Reproduktionsmedizin erklären. Im 2019 waren es noch 1424 Zwillinge bzw. 1.65 % der Geburten in der Schweiz (Tab. 1).

Leider gibt es keine offiziellen Schweizer Zahlen zur Inzidenz der verschiedenen Subtypen von Zwillingsschwangerschaften. Die ASF-Statistik (Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Frauenkliniken) unterscheidet seit 2005 zwischen monochorialen und dichorialen Mehrlingen. Aus dieser Datenbank geht hervor, dass etwa ¾ der Mehrlinge dichorial sind und der Rest eine monochoriale Plazenta, meist diamniot, aufweisen (Grafik 1).

Sonographie bei Mehrlingen

Die Sonographie bei Mehrlingen ist anspruchsvoll, planen Sie genügend Zeit ein! Ein besonders wichtiger Zeitpunkt ist das erste Trimenon. Dort müssen die Chorionizität und Amnionizität geklärt und somit der Typ der Zwillingsschwangerschaft festgelegt werden. Wie für die Einlingsschwangerschaften gilt auch für die Mehrlinge das Screening in der 12.–14. Woche als imperativ. Tabelle 2 fasst die wichtigsten Punkte zusammen.

Bei den Dichorialen mit fusionierten Plazenten grenzen zwei Chorionschichten und zwei Amnionblättern aneinander und entsprechend ist die Trennwand dick. Im 1. Trimenon bildet sie zur Plazentaoberfläche hin ein Dreieck (lambda sign). Anders bei den Monochorialen, wo die Trennwand nur aus zwei Amnion­schichten besteht und an der Plazentainsertion T-förmig (T-sign) ausläuft (oder vor der 12. Woche als sog. „empty lambda sign“ darstellbar ist) (Abb. 2).

Die Datierung von Mehrlingen ist ähnlich wichtig wie bei Einlingen. Wenn man die Literatur diesbezüglich aufmerksam sichtet, ist das gar nicht so klar, nach welcher SSL man korrigieren oder ob man einen Mittelwert beider nehmen soll. Bei den Mehrlingen nach ART scheint die kleinere SSL eher das effektive Alter zu reflektieren. Um aber das Risiko einer Wachstumsrestriktion des kleineren nicht zu verpassen, sollte die SSL des grösseren Fetus für die Korrektur genommen werden.

Weitere Ultraschalluntersuchungen und Differenzierung von monochorial assoziierten Pathologien

Neben der Fehlbildungsdiagnostik geht es um die „Symmetrie“ speziell bei den Monochorialen. Eine Divergenz im Wachstum, in der Fruchtwassermenge und/oder der Dopplerbefunde kann für ganz spezifische Probleme sprechen, welche erkannt werden müssen. Sobald zwischen den Feten eine Diskordanz einer dieser Faktoren nachweisbar wird, sollte die Überwachung intensiviert oder die Frau an ein tertiäres Zen­trum überwiesen werden (Tab. 3).

Im Falle einer Fruchtwasserdiskordanz muss man an ein sich entwickelndes feto-fetales Transfusionssyndrom (FFTS) denken. Eine intensivierte Überwachung ist ebenfalls angezeigt bei Wachstumsdiskordanz bei Dichorialen und bei selektiver Wachstumsrestriktion (sIUWR) bei Monochorialen. Das könnte ein Hinweis für eine unausgewogene Verteilung der Plazentamasse sein. Ich gebrauche die Bezeichnung „selektive IUWR“ nur für die Monochorialen. Bei den Dichorialen rede ich von Wachstumsdiskordanz mit IUWR eines Zwillings (Tab. 4).

Bei sIUWR werden 3 Typen unterschieden ja nach Dopplerqualität in der Nabelschnur des kleineren Feten (Abb. 3).

Diese Einteilung – ähnlich wie die Quintero-Einteilung beim FFTS – kann hilfreich sein in der Prognoseeinschätzung und Festlegung des Entbindungszeitpunktes. Leider gibt es bei den Monochorialen mit sIUWR keine fetoskopische Interventionsmöglichkeit wie beim FFTS. Bei der letzten Problematik wählen wir spätestens ab Stadium II einen fetokopischen Lasereingriff.

Eine spezielle Entität stellt die Twin Anemia Policythemia Sequence (TAPS) dar. Diese definiert sich über divergierende Dopplerflussgeschwindigkeiten in der A.cerebri media (ACM PSV). TAPS ist auch eine Art FFTS wobei aber das transfundierte Volumen gering ist aber eben chronisch über kleinlumige, unidirektionale Anastomosen. Währendem das FFTS meist zwischen 19–21 Wochen aufritt, sehen wir eine spontane TAPS meist ab 26 Wochen oder 1–5 Wochen nach einem fetoskopischen Lasereingriff infolge FFTS, meist bedingt durch eine inkomplette Laserung von Anastomosen. Frühe Formen (<17 Wochen) dieser drei Komplikationen monochorialer Zwillinge sind meist aggressiv und sehr schwierig zu behandeln. Die Morbidität und v. a. die Mortalität ist hoch. Solche Fälle sind sehr selten. Seit über 10 Jahren pflegen wir auf dem Gebiet der fetoskopischen Interventionen eine intensive Zusammenarbeit mit dem CHUV. Gemeinsam mit Prof. David Baud werden – wenn immer möglich – alle fetoskopischen Eingriffe gemeinsam an zwei Standorten, an der INSEL und im CHUV durchgeführt (Abb. 4).

Spezialfälle

Darunter subsummiere ich: 1) monoamniote Zwillinge, 2) Monochoriale mit TRAP (twin reversed arterial perfusion) Syndrom und 3) die siamesischen Zwillinge. Es sind seltene Fälle, wobei unter diesen Formen monochorialer Mehrlinge die Monoamnioten die gutartigste Variante darstellt. Eine enge und frühe Kollaboration mit einer Zentrumsklinik ist hier imperativ da oft Interventionen oder eine geplante Frühgeburt notwendig sind.

Bei den Monoamnioten liegt der optimale Entbindungszeitpunkt bei 33 Wochen. Diese Zahl ist empirisch und basiert zum Teil auf einer grösseren, retrospektiven Arbeit, wo man die Morbidität und die Mortalität in Relation zum Gestationsalter übereinandergelegt hat. Dort wo sich beide Kurven geschnitten haben war der Zeitpunkt der geringsten Morbidität und Mortalität (Grafik 2).

Literatur

Beim Autor erhältlich


Gewicht des Größeren minus Gewicht des Kleineren/Gewicht des Größeren; EFW, estimated fetal weight; AC, abdominal circumference

Abb. 1. Inzidenz von Zwillingsschwangerschaften in der Schweiz über die Jahre (Quelle: BAG)

Abb. 2. Diagnose der Chorionizität anhand der Morphologie der Trennwand im ersten Trimenon. A und B monochoriale Zwillinge (gelbe Pfeile: Amnion; rot „T“-sign). C und D dichoriale Situation. Die Amnii (dünne gelbe Pfeile) beider Feten liegen dem Chorion (dicker gelber Pfeil) an. Im Teilbild D sieht man das klassische lambda-sign (roter dicker Pfeil).

Abb. 3. Klassifizierung von MC Zwillingen mit sIUWR anhand der Dopplerflussqualitäten der Nabelschnurarterie des kleineren Feten (Einteilung nach Gratacos).

Type I
Positiver
diastolischer Fluss

Type II
Persistierender
absent/reverse flow

Type II
Intermittierender
absent/reverse flow


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