Fortplanzungsmedizin aktuell

Mehrlinge und Kinderwunschtherapie

Unbestritten ist, dass Mehrlingsschwangerschaften für die betroffenen Kinder, aber auch die Mütter, mit erhöhten Risiken verbunden sind (siehe „Thema“ in dieser Ausgabe). Das von verschiedenen Gremien formulierte Ziel „ein gesundes Kind aufs Mal“ blieb aber lange Zeit eher Wunsch als Wirklichkeit .

Durch den Transfer von mehr als einem Embryo die Chancen auf eine Schwangerschaft zu erhöhen oder gar die ganze Familie in einem Mal zu bilden, war (ist?) sowohl für die Paare wie auch Kinderwunsch-­zentren-verlockend.

Die Grösse des Problems

Im Jahr 2020 wurden in der Schweiz 83.518 Einzel-­geburten und 1327 Zwillingsgeburten (1,6 %), 19 Drillinge und 1-mal Vierlinge verzeichnet (Statista).

Die Zahl der Zwillinge war mit 1,9 % im Jahr 2010 am höchsten, seit 1970 hat sich die Zahl verdoppelt. Diese Zahlen widerspiegeln sicher den Einfluss der Fortpflanzungsmedizin.

Nach wie vor geht man aber davon aus, dass etwa 60 % der Zwillinge auf eine natürliche Konzeption zurückgehen, 21–30 % auf eine Ovulationsinduktion oder Superovulation, aber nur 8–16 % auf eine ART-Behandlung (IVF/ICSI) (Fertil. Steril. 2012; 97:825–34). Aber gerade Ovulationsinduktion und ART können durch uns wesentlich beeinflusst werden.

Die Übersicht über ART-Gepflogenheiten in Europa im Jahr 2017 zeigt, dass dieses Problem in den verschiedenen Ländern derzeit noch unterschiedlich angesehen wird (Tab. 1).

Im Jahr 2017 wurden mehrheitlich mehr als ein Em­-bryo-transferiert. Länder mit einer höheren eSET (elektiver Single Embryo Transfer)-Inzidenz, wie Schweden (84 %), hatten auch die niedrigste Zwillingsrate (3,5 %).

Die Schweiz lag in dieser Statistik im Mittelfeld (44 % eSET; 50,7 % Transfer von zwei Embryonen; Zwillingsgeburtenrate von 17,6 %). Seit 2017 haben sich aber die Zahlen wesentlich in Richtung SET verbessert (siehe unten).

Wie der Vergleich mit Schweden zeigt, führt eine höhere eSET-Rate nicht zu einer niedrigeren Erfolgsrate (IVF und ICSI): Schweden: 84 % eSET, Geburten pro Punktion 25–26 %. Schweiz 44 % eSET, Geburten pro Punktion 23,8 %.

In der Schweiz selbst zeigt sich nun ein interessanter Trend (leider ist die Aufteilung nach eSET nicht erhältlich):

Die Zahl der Behandlungszyklen hat sich seit 2002 (5378) bis 2019 (11.163) mehr als verdoppelt.

Die Anzahl Mehrlingsgeburten ist von 2002 bis 2017 relativ konstant hoch geblieben (16–17 %), ab 2018 auf 7,8 % und 2019 auf 6,1 % stark gesunken.

Dies ist ziemlich sicher die Folge einer Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes, welches u. a. die Kultur von Blastozysten und die Kryokonservierung von Embryonen ermöglichte und damit auch einen höheren Prozentsatz von eSET.

Vorgehen am Kinderwunschzentrum Baden

(Ziel: niedrige Mehrlingsrate bei Erhaltung einer hohen Schwangerschaftsrate)

Durch eine ausführliche Beratung und Aufklärung versuchen wir Erwartungen (immer noch wünschen sich einige Paare „eine ganze Familie aufs Mal“ durch Anstreben einer Zwillingsschwangerschaft) und ärztliche Verantwortung (Vermeiden von höheren Risiken für Mutter und Kinder) in Einklang zu bringen.

Dabei ist auch der Hinweis hilfreich, dass ein SET die Schwangerschaftsraten nicht beeinträchtigt und dank hoher Erfolgsraten nicht selten eine Stimulation für mehr als eine Schwangerschaft reicht.

Bei monofollikulären Stimulationen mit Clomiphencitrat, Letrozol oder Gonadotropinen muss die Stimulation mittels vaginalem Ultraschall kurz vor dem Eisprung überprüft werden, um ein Wachstum von mehreren Follikeln auszuschliessen. Wenn mehr als ein Follikel heranwächst, muss die Patientin im Minimum auf die Möglichkeit von Zwillingen hingewiesen werden. In der Regel brechen wir aber diese Zyklen durch die Gabe von Progesteron ab und starten den Folgezyklus mit einer angepassten (d. h. tieferen) hormonellen Dosierung.

Bei den IVF- und ICSI-Zyklen hat sich die Situation in den letzten fünf Jahren grundsätzlich geändert. Vor der Einführung des neuen Fortpflanzungsmedizingesetzes war die Kultivierung der Embryonen bis zum Tag 5, also bis zum Blastozystenstadium, in der Schweiz praktisch unmöglich, auch wenn das Vorgehen legal war. Erst mit dem neuen Gesetz, das auch das Einfrieren von Embryonen erlaubt, ist es den Kinderwunschzentren möglich, eine Embryokultur mit anschliessender Selektion des erfolgversprechendsten Embryos durchzuführen.

Trotz weniger transferierter Embryonen sollten die Schwangerschaftsraten gleichbleiben oder sogar noch besser werden. Dies ist erfreulicherweise gut gelungen, wie unsere eigenen Zahlen belegen (Tab. 3).

Das Vermeiden von komplikationsbehafteten Mehrlingsschwangerschaften ist auch in Zukunft ein wichtiges Anliegen. Eine konsequente Single-Embryotransfer-Politik ist hier von zentraler Bedeutung.

Eine weitere Möglichkeit ist die Therapie mittels IVF-Naturelle®. In den natürlichen IVF-Zyklen (ohne Stimulation mit Gonadotropinen) wird in über 95 % der Fälle nur ein Embryo transferiert und die Zwillingsrate liegt nur knapp oberhalb der natürlichen Zwillingsrate.

Mittlerweile hat IVF-Naturelle® einen festen Platz in unserem Angebot.

Kernaussagen

  • Die Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften in der Fortpflanzungsmedizin hat eine hohe Priorität.
  • Trotz „single embryo transfer“ (SET) sind heute hohe Schwangerschaftsraten möglich.
  • Durch eine ausführliche Beratung und Aufklärung gelingt es meistens, die Erwartungen der Paare und ärztliche Verantwortung in Einklang zu bringen.

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