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Therapie bei Sterilität ohne erkennbare Ursache: Warten, IUI oder IVF?/Soziodemografisches Profil und klinisches Profil Non-binärer Jugendliche/HPV-Impfung: Endlich Gewissheit!/ Bei Frauen mit Belastungsinkontinenz,die sexuell aktiv sind, eher TVT oder Bulkamid?

Therapie bei Sterilität ohne erkennbare Ursache: Warten, IUI oder IVF?

Experten argumentierten kürzlich einerseits „Pro IUI first“ (Intrauterine Insemination mit aufbereiteten Spermien; Prof. W. Ombelet und R. van Eekelen, Belgien, Niederlande) oder „Pro IVF first“ (A. Mc Nally, W. Ledger, K. Doody, USA).

Doch zuerst: Was heisst „unerklärte (unexplained) Sterilität“? Das sind Paare, bei denen man nach Abklärung (ovarielle Funktion, Eileiterdurchgängigkeit, normaler Uterus, Zervix, kleines Becken, männliche Organe, Ejakulation, adäquate Koitusfrequenz) keine Ursache feststellen kann.

Diese Diagnose stellt man bei 10–30 % der Paare, also ein durchaus praktisch relevantes Problem innerhalb des Kinderwunsches.

Allerdings sollte bei Frauen über 35 Jahren eine weitere Kategorie „Alter“ berücksichtigt werden. Beispiel: 39-jährige Frau mit „normaler Diagnostik“: altersbedingte Sterilität wird immer wahrscheinlicher (Aneuploidirate der Embryonen steigt).

Bei „unerklärter Sterilität“ ist notgedrungen jede Therapie empirisch. So gab und gibt es auch eine breite Palette von therapeutischen Vorschlägen.

  • Abwarten (nichts tun)
  • Superovulation
  • Intrauterine Insemination
  • IVF Naturelle
  • IVF/ICSI

Heutzutage mit mehrheitlich „älteren“ Paaren (Frauen >35 Jahre) ist „nichts tun“ keine attraktive Option. Ausserdem zeigte eine randomisierte Studie, dass IUI mit CC (Clomifencitrat) im Vergleich zum Abwarten zu einer 3× höheren Lebendgeburten-Rate führte (31 % gegenüber 9 %).

Eine Superovulation alleine ist wegen des Risikos von Mehrlingsschwangerschaften „out“.

Bleiben: IUI und IVF. Für beides gibt es wissenschaftlich fundierte Argumente. Die Verfechter des IUI-first führen unter anderem die Multizenterstudie von Bensdorp, AJ. et al. ins Feld, bei welcher IUI nicht inferior zu einer IVF oder „IVF-Naturelle“ war. Ausserdem ist IUI naturgemäss weniger invasiv.

Für die IVF-Protagonisten hingegen sind wichtige Argumente:

die Zyklus-gegen-Zyklus-Ueberlegenheit von IVF gegenüber IUI (und nicht der Vergleich 3 IUI gegen 1 IVF),

die längere Zeit bis zur Schwangerschaft nach IUI sowie

das Potenzial für „family building“, d. h., dass bei einer klassischen IVF mit einer Stimulation durchaus die Möglichkeit besteht, genügend Embryonen zu gewinnen, um damit ein, zwei oder drei Kinder daraus entstehen zu lassen (Fertil. Steril. 2020; 114:1141) (Somigliana, E. et al, Fertil. Steril. 2016-31:1390) (Farquhar, CM et al., Lancet 2018; 93:441) (Br. med. J. 2015; 350:g7771).

Kommentar

Wie immer, wenn mehrere Optionen vorhanden sind, sollte man sich nicht vom Verkaufsargument für Socken: „one-size-fits-all“ leiten lassen.

Eine vernünftige Strategie legen wir heute gemeinsam mit dem Paar fest, wägen pro und contra aus der Einzelperspektive gegeneinander ab.

Für uns spielen Alter und Dauer der Sterilität eine wichtige Rolle (z. B. über 38 Jahre eher IVF zuerst).

Ein starkes Argument für IUI-first ist sicher die Kassenpflicht (3 Zyklen IUI werden bezahlt).

Da die Effizienz der IUI mit jedem Zyklus abnimmt, machen sechs konsekutive IUI-Zyklen wenig Sinn (dazu Zeitverlust: sechs Zyklen brauchen deutlich mehr als sechs Monate!).

Paaren, die nach erfolglosen IUI-Zyklen skeptisch gegenüber IVF sind (Kosten, Angst vor Überstimulation etc.) bieten wir eine IVF im natürlichen Zyklus an: „IVF Naturelle“ (IVF-Punktion von 1–2 Zellen ohne Narkose). Die Erfolgsraten im Kinderwunschzentrum Baden sind hier ca. 30 % pro Embryotransfer, wobei ein einzelner Embryo transferiert wird.

Da neuere Daten zeigten, dass bei HPV-positiven Frauen und Männern die Schwangerschaftsrate nach IUI deutlich niedriger ist, empfehlen wir diesen ein „IVF first“ (Chambers, G. et al., Aust. NZ J. Obstet Gynaecol. 2010; 50:280)

Michael K. Hohl

 Soziodemografisches Profil und klinisches Profil ­non-binärer Jugendliche

Dieser spannende Review-Artikel – wirklich sehr lesenswert für alle, die sich für Geschlechtervielfalt und Genderidentität interessieren! – beleuchtet ein spezielles Kollektiv, das wir in der Endokrinologie immer häufiger sehen: Die meisten Artikel, die publiziert sind, beziehen sich auf erwachsene Personen, das vorliegende Paper konzentriert sich auf Teenager und junge Erwachsene. Jugendliche und junge Erwachsene, die sich selbst nicht als typisch binär – männlich oder weiblich – identifizieren.

Im Artikel werden verschiedene Formen diskutiert: genderqueer, genderless, gender-neutral, trigender, agender, third gender, two-spirit und bigender.

Für die Schweiz gibt es diesbezüglich keine klare Datenlage, im Artikel wird beschrieben, dass 11–14 % der Transgender-Personen sich als non-binär beschreiben, was ein grosser Anteil ist. Aus Amerika werden Daten von 35 000 High-School-Studenten genannt, bei der 1,8 % sich als non-binär bezeichneten.

Eine andere Studie, ebenfalls aus den USA, wird genannt, in der 18–22 % der Transgender-Personen sich als non-binär sehen, andere Studien aus der allgemeinen Bevölkerung zeigen ein Vorkommen von 1–10 % Personen, die sich als nicht-binär klassifizieren.

Kommentar

Diese hohe Prävalenz zeigt, dass wir als GynäkologInnen uns sicherlich mit dieser Gruppe befassen müssen.

Interessanterweise zeigen die analysierten Studien, dass non-binäre Jugendliche vermehrt in urbanen Regionen gefunden werden, vermehrt Agnostiker oder atheistisch sind und meistens nicht heterosexuell, sondern pansexuell, asexuell, genderfluid oder homosexuell in der sexuellen Orientierung.

Der Artikel analysiert, dass non-binäre Jugendliche weniger Unterstützung von Familie und Freunden und weniger Zugang zu sozialen und gesundheitlichen Institutionen haben. Dieser Hintergrund begünstigt eine familiäre und soziale Isolation.

Studien aus den USA berichten über eine „Poly-Victimisierung“ dieser besonderen Gruppe, Mobbing in der Schule und beim Sport sowie Internet-Mobbing, Diskriminierung und Nicht-Nennung des korrekten Pronomens.

Die Gruppe der non-binären Jugendlichen sind anfällig für Alkohol- und Drogenabusus sowie Nikotinabusus. Diese Personen haben mehr Panikattacken und Angstzustände und Depressionen.

Der Review Artikel macht uns klar, dass wir beim Kontakt mit nicht-binären Jugendlichen aufmerksam diese Daten lesen und umsetzen sollten, und die medizinische Betreuung sollte mehrere medizinische Bereiche inklusive Endokrinologie, Psychiatrie und Psychologie sowie soziale Aspekte berücksichtigen (Chew D et al., PangLancet KC; Child Adolesc Health 2020; 4:322–30).

Annette Kuhn

 HPV-Impfung: Endlich Gewissheit!

Die HPV-Impfung hat mittlerweile einen festen Platz in der Impfstrategie der meisten westlichen Nationen. Zu Recht: die Reduktion von HPV-induzierten Krebsvorstufen und Genitalwarzen durch die Impfung ist überzeugend belegt worden. Weitaus schwieriger gestaltete es sich, den protektiven Effekt auf die Entstehung eines invasiven Karzinoms nachzuweisen. Dies ist jetzt jedoch, weniger als zwei Jahrzehnte nach Zulassung des ersten quadrivalenten HPV-Impfstoffs, gelungen. Eine schwedische Studie untersuchte fast 1.7 Millionen junger Mädchen und Frauen, die im Zeitraum zwischen 2007 und 2017 am staatlichen Zervixkarzinomscreening teilgenommen hatten. Von diesen waren 528 000 mindestens einmal geimpft worden. Die beobachtete Zervixkarzinominzidenz zu nicht geimpften Frauen betrug 47 versus 94 Fälle auf 100 000 Frauen. Betrachtete man nur Frauen, welche die erste Impfung vor dem 18. Geburtstag erhalten hatten, reduzierte sich die Inzidenz noch einmal erheblich auf 4/100.000 (Lei J et al., New Eng J Med 2020; 282:1340–8).

Kommentar

Letztlich ist der beschriebene Effekt der erwartete. Auffällig ist die insgesamt hohe Inzidenzrate, diese erklärt sich vermutlich vor allem dadurch, dass sich die Auswertung auf Screeningpatientinnen bezog und nicht auf die Allgemeinbevölkerung. Das Entscheidende ist aber die beeindruckende Risikoreduktion. Es ist von enormer Wichtigkeit, dass erstmals die Risikoreduktion für invasive Karzinome an einem grossen Kollektiv belegt wurde. Gerade als Argumentation vor Zweiflern und Bedenkenträgern, die es in Bezug auf Impfmassnahmen immer wieder gibt. Deutlich wird an den beschriebenen Ergebnissen auch, wie wichtig die frühe Impfung vor der Kohabitarche ist, der Unterschied in der Risikoreduktion am untersuchten Kollektiv ist beeindruckend. Insgesamt sind die Zahlen bemerkenswert und zeigen: Es kann gelingen, diese Krebserkrankung praktisch vollständig aus unserem Alltag verschwinden zu lassen.

Martin Heubner

Bei Frauen mit Belastungsinkontinenz, die sexuell aktiv sind, eher TVT oder Bulkamid?

Angesichts der aktuellen Netzdiskussion stehen wir prinzipiell in der Sprechstunde immer wieder vor der Frage, ob wir der Patientin als primären Eingriff vielleicht doch eher Bulking Agent statt des lange bekannten TVT’s empfehlen sollten. Nun sind tatsächlich neue Daten zum Thema Sexualfunktion herausgekommen, die uns für die Beratung sicherlich helfen können!

Als Teilergebnis der bahnbrechenden finnischen Studie, die prospektiv TVT-Schlingen mit Bulkamid® hinsichtlich der Erfolgsraten und Nebenwirkungen verglichen hat, kommen nun Daten hinsichtlich der Sexualfunktion – ein wichtiger Aspekt bei der präoperativen Beratung von Patientinnen.

Zur Erinnerung – die initiale Studie fand hinsichtlich der Kontinenz signifikant bessere Resultate für das TVT, dafür aber weniger Nebenwirkungen beim Bulkamid®. Beide Verfahren können unter Lokalanästhesie durchgeführt werden.

Die vorliegende Studie analysiert ein sekundäres Outcome, die Sexualfunktion. Eingeschlossen wurden nur Patientinnen, die nach erfolgloser Physiotherapie ihre erste Inkontinenzoperation bekamen.

Insgesamt wurden 224 Frauen eingeschlossen, die 1:1 randomisiert wurden in entweder den Bulkamid-Arm oder den TVT-Arm.

Für die Erfassung der Inkontinenz wurde der UDI-6-Fragebogen verwendet, für die Erfassung der Sexualfunktion der PSC-12-Fragebogen, beides in der Landessprache validierte Fragebogen.

Primärer Endpunkt war die Patientinnenzufriedenheit und das Follow-Up-Intervall betrug 12 Monate.

Sowohl hinsichtlich der Kontinenz als auch hinsichtlich der Sexualfunktion zeigten beide Gruppen (TVT und Bulkamid) nach 12 Monaten eine signifikante Verbesserung.

Die Lebensqualität der Frauen mit einem TVT war nach 12 Monaten signifikant besser als die der Frauen mit Bulkamid, die Sexualfunktion verbesserte sich bei beiden Gruppen signifikant, die de novo-Dyspareunierate war in beiden Gruppen gleich, ABER die TVT-Gruppe zeigte insgesamt postoperativ mehr Schmerzen als die Bulkamidgruppe.

Kommentar

Was können wir jetzt genau daraus schliessen? Ich meine, nicht allzu viel, da es sich um eine Subgruppenanalyse von sekundären Endpoints handelt, d. h., dass die Powerkalkulation nicht für diese Endpoints ausgelegt war.

Darüber hinaus wissen wir aus älteren Daten, dass eine Verbesserung der Inkontinenz an sich schon mit einer Verbesserung der Sexualfunktion einhergeht, deswegen sind diese Resultate für mich nicht sehr überraschend.

Wir dürfen Patientinnen also dahingehend informieren, dass sie eine gute Chance haben, dass sowohl nach TVT als auch nach Bulkamid sich ihre Sexualfunktion verbessern kann; beim TVT können neu Schmerzen auftreten, die die Bulkamidgruppe nicht gezeigt hat, allerdings zum Preis von weniger Effizienz hinsichtlich der Kontinenz (Itkonen Freitas A. et al.; International Urogynecology Journal 32:595–601).

Annette Kuhn

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