Kinderwunschpaare fragen oft, was sie selbst zur Verbesserung ihrer Fruchtbarkeit beitragen können. Dies ist ein Grund, weshalb das Thema „Lifestyle und Kinderwunsch“ bei den meisten Paaren auf grosses Interesse stösst. Was sind „Lifestyle“-Faktoren im Zusammenhang mit Kinderwunsch? Es sind dies Verhalten und Bedingungen, die veränderbar sind und die Fertilität betreffen. Über viele dieser Faktoren gibt es abgesicherte Daten, die uns bei der Beratung der Kinderwunschpaare leiten können.
In Fachkreisen wissen alle, dass das weibliche Alter eine dominante Rolle spielt. Der Abfall der Fekundabilität ab 35 Jahren ist steiler und relevanter (Abb. 1).
Das gleiche gilt auch für die Ergebnisse nach IVF/ICSI, vor allem wegen der Zunahme des Aneuploidie-Risikos und der Stimulierbarkeit der Ovarien (Ovarialreserve).
Weniger bekannt ist der Einfluss des Alters bei Männern. Nach 40 Lebensjahren nimmt die DNA-Schädigung der Spermien zu, Motilität und Viabilität nehmen hingegen ab (Varshini J. et al., Andrologia 2012;44). Mit über 45 Jahren dauerte es länger bis zu einer Schwangerschaft: über 1 Jahr RR 4.6, über 2 Jahre RR 12.5!
Problematisch ist nach wie vor, dass gerade auch Frauen mit höherer Bildung zu wenig über dieses Naturphänomen wissen und nur zu oft ihren Kinderwunsch erst nach 35 Jahren verwirklichen wollen (Lampic, C. et al., Hum. Reprod. 2006; 21:558).
Kommentar
Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe für alle Gynäkolog*innen, anlässlich der Vorsorgeuntersuchungen das Problem zu thematisieren. An dieser Stelle kann auch der Hinweis auf eine mögliche Erhaltung der weiblichen Fruchtbarkeit durch möglichst frühzeitige (am besten vor 35 Jahren) vorsorgliche Kryokonservierung von Oozyten hilfreich sein (siehe auch „Frauenheilkunde aktuell“: Social Freezing: Weg vom negativen Touch! FHA 26/1/2017 (im online Archiv).
Jeder wird heute in fast täglichem Rhythmus überschüttet mit Empfehlungen für eine „gesunde, ausgewogene Ernährung“.
Für Frauen gibt es zahlreiche Studien zur Ernährung und Ovulationsstörungen. Kohlenhydrate durch tierische Proteine zu ersetzen kann zu Ovulationsstörungen führen (Lampic, C. et al., Hum. Reprod. 2006; 21:558); pflanzliche Eiweisse statt Kohlenhydrate hatten hingegen eine protektive Wirkung (OR 0,5); Transfette statt ungesättigte erhöhten das Risiko für eine ovarielle Infertilität (RR 2,31) (Chavarro, J. F. et al., Am J. Clin. Nutr. 2007; 85:231).
Bei Männern führte eine kohlenhydratbetonte, faserreiche Nahrung mit Früchten und Gemüse zu einer verbesserten Spermienqualität, und geringerer Konsum von Fett und Proteinen war fertilitätsfördernd (Wong, W. Y. et al., Eur. J. Obstet Gynecol. Reprod. Biol. 2003; 110:49).
In einer Cochrane Review von 34 Studien fand man, dass wenn Männer orale Antioxidantien einnehmen wie Vitamin C, E, Selen etc., die Lebendgeburtsrate nach IVF/ICSI signifikant höher war (OR 4,18, p <0,0001) (Showell, M. G. et al,. Cochrane Data Base 2011; 1:CD 007410;1002/1465/1858).
Regelmässiges Training erhöht das Wohlbefinden und schützt wahrscheinlich zu einem Teil vor Übergewicht, Hochdruck, Diabetes, Osteoporose und psychologischem Stress. Fitte Menschen fühlen sich physisch und emotional besser, dies ist gut belegt (Kull, M., Scand. J. Medi. Sci. Sports 2002; 12;241)
Daten zur Fertilität gibt es vor allem für Athletinnen, bei welchen regelmässiges Training das Risiko einer Ovulationsstörung senkte (Rich-Edwards, J. W. et al., Epidemiology 2002, 13:184).
Körperliches Training erhöht die Insulinsensitivität, was die ovulatorische Funktion und Konzeptionswahrscheinlichkeit erhöhte (Norman, R. J. et al., Reprod. Fertil. Dev. 1998; 10:55).
Zu viel Aktivität hingegen (zum Beispiel mehr als 4 Stunden/Woche) führte zu signifikant schlechteren Ergebnissen nach IVF/ICSI (Morris, S N. et al., Obstet Gynecol. 2006; 108:938).
Sowohl Über- wie Untergewicht wirken sich negativ aus. Daten aus der berühmten WHI-Population zeigen, dass im Vergleich zu Frauen mit normalem BMI (20–21,9) das Risiko einer Sterilität mit zunehmenden BMI anstieg (RR 1,3 bis 3,7 bei BMI 32). Die Zeitdauer bis zu einer Schwangerschaft war ebenfalls BMI-abhängig (bei BMI <19 bzw. >25) (Rich-Edward, J. W. et al., Am J. Obstet Gynecol. 1994; 171:/71).
Dauer bis zur Konzeption >12 Monate RR 2,2 (p <000,1). Auch bei IVF/ICSI sinken die Erfolgszahlen auf die Hälfte bei sehr obesen Frauen (OR 0,53) (Nichols, J. F. et al., Fertil. Steril. 2003; 79: 645).
Kommentar
Bei sehr obesen Frauen stellt sich wirklich die Frage einer bariatrischen Chirurgie vor einer invasiven ART-Therapie. Bei allen anderen steht die Ernährungsberatung im Vordergrund. Die Aussicht auf höhere Schwangerschaftsraten kann durchaus motivierend sein.
Dass Rauchen die Fertilität von Mann und Frau beeinträchtigen kann, ist durch zahlreiche Daten belegt. Über 4000 chemische Substanzen in Zigarettenrauch können vielfältige Schäden anrichten.
DNA-Schäden bei Spermien, Follikelschädigung, Hormonbildung sowie erschwerte Penetration durch eine Verdickung der Zona pellucida etc. sind nur einige Beispiele (Übersicht bei: Human, G.F. et al., Hum. Reprod. Update 2007; 13:209). In einer Metaanalyse von Populationsstudien zeigte sich ein Ansteigen des Sterilitätsrisikos um 60 %. Das gleiche gilt auch für IVF-Zyklen.
Bei IVF Patientinnen war Passivrauchen genauso ungünstig wie aktives Rauchen (Neal, M.S. et al., Human. Reprod. 2005; 20:2531).
Ein Hauptproblem ist hier die Definition von psychologischem Stress und die Erkenntnis, dass Kinderwunschbehandlungen sehr häufig mit „Stress“ assoziiert werden. Das zeigte sich auch bei einer neueren Literaturrecherche zu diesem Thema (Palomba, S. et al., Reprod. Biol. Endocrinol. 2018; 16:113).
Die meisten Studien befassen sich mit dem Einfluss auf die Nebenniere sowie die hypothalamisch-hypophysäre-Achse.
Sowohl in der allgemeinen Population wie auch bei Fertilitätsproblemen war Stress mit reduzierten Konzeptionsraten und Zyklusstörungen assoziiert.
Was Stress und IVF betrifft, sind die Ergebnisse aber widersprüchlich.
Kommentar
So schwierig es ist, einen Zusammenhang wissenschaftlich zu untermauern, so naheliegend ist es, das Problem als solches ernst zu nehmen und die gesamte Kinderwunschbetreuung zu „entstressen“ und wenn nötig Hilfe anzubieten (Coaching, psychologische Unterstützung, Entspannungsmethoden etc.).
Die Datenlage ist nicht eindeutig, deutet aber darauf hin, dass der Genuss grösserer Mengen (Kaffee oder Cola etc.) mit einer niedrigeren Fekundabilität einhergeht (Bolumar, F. et al.., Am J. Epidemiol. 2000; 151:1072).
Hinweise für einen negativen Einfluss von Koffein gibt es auch für IVF/ICSI-Patientinnen. Ausserdem ist ein starker Konsum mit einem erhöhten Abortrisiko assoziiert (Rasch, V., Acta Obstet Gynecol. Scand. 2003; 82:182).
Methodisch einwandfreie Studien gibt es nicht. Oft spielen sogenannte „Confounding factors“ mit (z. B.: Drogenkonsum assoziiert mit Rauchen, Kaffeegenuss etc.). Cannabis ist mit einem höheren Sterilitätsrisiko bei Frauen assoziiert, Kokain und Heroin sollen eine negative Auswirkung auf Spermienparameter haben.
Alkohol ist teratogen. Bereits ein mässiger Alkoholkonsum (7–8 Drinks/Woche) war mit einer reduzierten Fertilität und erhöhtem Abortrisiko verbunden (Windham, G.C. et al., Epidemiology 1992; 3:364). Prospektiv nahm die Fekundabilität dosisabhängig mit zunehmenden Alkoholkonsum ab und vorgängiger Alkoholkonsum führte zu schlechteren IVF/ICSI-Ergebnissen (Jensen, T.K. et al., Br. Med. J. 1998; 3/7:505) (Klonoff-Cohen, H. et al., Fertil. Steril. 2003; 79:330).
Männliche Alkoholiker haben selten eine Normozoospermie (negative Auswirkung auf Morphologie, Motilität und Zahl) (Gaur, D.S. et al., Ind. J. Pathol. Microbiol. 2010; 53:35).
Wenn auch eine klare Evidenz fehlt, gibt es doch Hinweise, dass Pestizide, endokrine Disruptoren, Schwermetalle (gilt vor allem für Männer, die berufsmässig exponiert sind [Agrikultur, Fabriken]) die Spermienqualität negativ beeinflussen. Das gilt auch für eng ansitzende Unterwäsche und exzessiven Saunabesuch (widersprüchliche Daten).
Interessant ist eine Kohortenstudie von 2112 schwangeren Frauen. Mit zunehmender Anzahl von Life-Style-Faktoren reduzierte sich die Fekundabilität immer weiter.
Die Grafik (Abb. 2) kann bei einem Beratungsgespräch durchaus hilfreich sein.