Urogynäkologie up to Date - Harnwegsinfekte im gynäkologischen Alltag

In der geburtshilflich-gynäkologischen Praxis sind wir alle sehr oft mit Fragen, die insbesondere rezidivierende HWI betreffen, konfrontiert. Harnwegsinfektionen (HWI) sind bei Frauen extrem häufig; mit einem Risiko von 50 %, mindestens einmal im Leben an einem HWI zu erkranken. 25 % dieser Frauen haben ein Risiko für rezidivierende Infekte – ein Zustand, der für die Lebensqualität und das Sexual­leben sehr störend sein kann. Im Folgenden beleuchten wir das Thema der Harnwegsinfekte unter verschiedenen Aspekten der Ätiologie, Differenzialdiagnose, Therapien und besonders auch der Prophylaxe, einem Thema, dass angesichts zunehmender Antibiotikaresistenzen von zunehmender Brisanz ist.

In der gynäkologisch-geburtshilflichen Praxis werden wir praktisch in allen Altersgruppen der Patientinnen mit Harnwegsinfektionen (HWI) und rezidivierenden HWI konfrontiert.

Harnwegsinfekte gehören zu den häufigsten Infektionen bei älteren Menschen. Die Prävalenz einer Bakteriurie beträgt bei jungen Frauen lediglich 2 bis 4 %, bei 60-jährigen Frauen aber 6 bis 8 % und bei über 70-jährigen Frauen bis 20 %. Bei Männern sind Harnwegsinfekte generell etwa halb so häufig, die Prävalenz nimmt jedoch ebenfalls mit dem Alter zu.

Zu unterscheiden ist prinzipiell die asymptomatische Bakteriurie, die nur in der Schwangerschaft und vor urologisch-gynäkologischen Eingriffen behandlungsbedürftig ist, oder der Harnwegsinfekt mit Bakteriurie und Symptomen wie Pollakisurie, terminalem Miktionsschmerz und manchmal Hämaturie. Bei geriatrischen Patientinnen äussert sich der HWI allerdings oft nicht mehr mit den klassischen Symptomen, sondern kann oft als hyperaktive Blase mit oder ohne Inkontinenz auftreten.

Ob Harnwegsinfekte auftreten, hängt sehr von der individuellen Lebens- und Wohnsituation ab. Bei alten Frauen, die noch selbstständig in ihrer Wohnung leben, ist nur bei rund 10 % eine Bakteriurie festzustellen, bei gleichaltrigen Alters- oder Pflegeheiminsassinnen aber immerhin bei 25 % der Patientinnen.

Gründe für die erhöhte Anfälligkeit älterer Menschen gegenüber Harnwegsinfektionen sind vielfältig: verringerte Immunabwehr, neurogene Blasenbeschwerden, obstruktive Uropathien, erhöhte Adhäsion von pathogenen Keimen, nicht zuletzt ein erhöhtes Kontaminationsrisiko durch Stuhlinkontinenz, eine Änderung des pH-Werts des Scheiden- und Blasenmilieus als Folge postmenopausaler Veränderungen. Störungen der IgG Subgruppensynthese werden diskutiert wie auch eine Störung des individuellen Mikrobioms, die HWI wahrscheinlicher machen.

Ein wichtiger Risikofaktor sind auch Dauerkatheter, sowohl transurethrale als auch suprapubische Harnableitungen wie Zystofixkatheter. Bei längerer Verweildauer erreicht die Kontaminationsrate fast 100 %; bei transurethralen Kathetern rechnen wir nach 72 Stunden bereits mit einer Kontamination, bei Zystofixkathetern nach etwa vier Wochen. Deutlich günstiger ist die Kontamination bei intermittierendem Selbstkatheterismus, was unsere Methode der Wahl bei Harnblasenentleerungsstörungen ist.

Diagnostik

Die anamnestischen Angaben der Patientin, einen trüben, „stinkenden“ Urin zu haben, hat lediglich eine Sensitivität von 13 %.

Beim einmaligen einfachen Harnwegsinfekt der prämenopausalen Patientin ohne Beteiligung der oberen Harnwege mit klassischen Beschwerden sind keine weiterführende Diagnostik und keine Urinkultur notwendig.

Bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen (>3/12 Mo­­naten oder >2/6 Monaten) sollten jeweils ein Urin­status und eine Urinkultur eingeschickt werden, nach Antibiotikatherapie nochmals ein Urinstatus mit Kultur angelegt werden, um die Infektfreiheit zu dokumentieren.

Wichtig ist die Qualität des Untersuchungsmaterials; das berühmte, mitgebrachte Marmeladenglas mit zu Hause abgegebenem Urin ist hier absolut nicht akzeptabel!

Der Urin sollte frisch abgegeben werden als Mittelstrahlurin. Wenn Mittelstrahlurin nicht möglich ist, kann alternativ ein Einmalkatheterurin abgegeben werden. Plattenepithelien weisen auf eine vaginale Kontamination hin und bedeuten, dass eine Kultur kontaminiert und nicht verwertbar ist.

Bei rezidivierenden HWI’s sind als initiale Diagnostik eine Restharnbestimmung mit Urinstatus und Urikult geeignet, als weiterführende Diagnostik eine Zysto­skopie und ggf. weitere bildgebende Verfahren.

Wichtig ist es insbesondere bei älteren Patientinnen, eine gleichzeitige Stuhlinkontinenz zu erfassen und zu behandeln, da eine dauernde vermehrte Kontamination mit Stuhl im Intimbereich HWI’s begünstigt.

Kein unnötiges Screening!

Die aktuellen Guidelines der European Association of Urology (EAU) fassen inklusive level of evidence die Empfehlungen hinsichtlich wie folgt zusammen:

Wichtig für die Praxis ist, dass ein Screening nur vor urogynäkologischen Operationen und in der Schwangerschaft Sinn macht.

Therapie und Prophylaxe

Die klassische Antibiotikatherapie sollte resistenzgerecht sein und individuelle Allergien berücksichtigen.

Weltweit besteht allerdings eine Zunahme von Antibiotikaresistenzen, die auch die Schweiz nicht verschonen.

Die Zunahme der Resistenzen führt zur Suche nach Alternativen und zum Ausbau der Prophylaxe.

Eine Alternative beim symptomatischen HWI stellt gemäss randomisierter Studien die Therapie mit Ibuprofen dar, welches in der Dosierung von 3 × 400 mg über 3 Tage gegeben wird.

Die EAU Guidelines schlagen Folgendes vor:

Die Veränderung der Miktionsgewohnheiten, Wischtechnik nach der Toilette, Vermeiden von nasser Badekleidung etc. haben nur einen sehr niedrigen Evidenzgrad, können aber im Einzelfall hilfreich sein.

Postmenopausale Patientinnen sollten unbedingt lokal östrogenisiert werden, was auch bei Patientinnen mit hormonabhängigen Karzinomen möglich ist, wenn der Vorteil der lokalen Hormongabe das Risiko überwiegt.

In 75–95 % der Fälle von Blasenentzündungen ist das Darmbakterium E.-coli die Ursache für die Infektion.

E.-coli-Bakterien suchen den Kontakt zu zuckerhaltigen Andockstellen an der Blasenwand. Der Einfachzucker D-Mannose im Urin gaukelt diesen Bakterien solche „süssen“ Andockstellen vor. Resultat: Die Bakterien verbinden sich nicht mehr mit dem Urothel, sondern mit dem Einfachzucker D-Mannose und werden mit dem Urin ausgeschieden. Der Urin kann dadurch etwas stärker riechen. Eine vorteilhafte Kombination bietet die Femannose, die eine Kombination aus D-Mannose und Preiselbeerextrakt darstellt. Die D-Mannose ist ein Zucker, der als Medizinprodukt vorwiegend zur Vorbeugung und in Kombination mit einem Cranberry-Extrakt auch zur Behandlung einer Blasenentzündung eingenommen wird. Die Effekte beruhen auf der Hemmung der Interaktion der bakteriellen Pili mit dem Urothel.

D-Mannose oder auch kurz Mannose ist eine natürliche Substanz, die in kleinen Mengen vom Körper selbst hergestellt wird und in sehr kleinen Mengen in bestimmten Obstsorten vorkommt. D-Mannose wird als Einfachzucker vom Körper zwar aufgenommen, aber nicht verwertet, sondern unverändert im Urin wieder ausgeschieden. Daher sind D-Mannose-Präparate auch für Diabetiker geeignet.

Femannose® (D-Mannose in Kombination mit Presielbeerextrakt) kann zur Prophylaxe und im akuten Anfall eines HWI genommen werden, ist sehr gut verträglich und geschmacklich auch sehr beliebt bei den Patientinnen.

Randomisierte Studien haben die Wirksamkeit der D-Mannose im Vergleich zur Antibiotikatherapie belegt.

Impfung

Die Impfung mit Urovaxom® hat eine gute Datenlage mit 15 Publikationen wovon drei Metaanalysen sind und über 1800 Patientinnen inklusive Schwangere und Kinder untersucht haben. Die Wirksamkeit der Impfung ist gut belegt und wird mit Level 1a empfohlen, es gibt nur selten Nebenwirkungen, die Verträglichkeit ist gut und die Patientinnenakzeptanz sehr gut.

Es handelt sich um eine orale Impfung, bei der tgl. eine Dosis geschluckt wird über drei Monate.

Urovaxom® kann auch in der akuten Episode angewendet werden, dann mit einer Kapsel über 10 Tage.

Die Kosten werden bei Zusatzversicherten von der Krankenkasse übernommen.

Pflanzliche Arzneimittel und Alternativmedizin

Zu den bekanntesten pflanzlichen Arzneimitteln zur Behandlung einer Blasenentzündung gehören Bärentraubenblätter, Birkenblätter, Cranberryfrüchte, Preiselbeerfrüchte, Orthosiphonblätter, Goldrutenkraut, Wacholderbeeren und Liebstöckelwurzeln. Die Drogen werden einzeln als Tee oder in Form von Teemischungen, sogenannte Nieren- und Blasentees, eingesetzt.

Angocin® ist ein pflanzliches „Antibiotikum“ ohne Resistenzentwicklung, dass aus Senfölen, Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzelextrakt besteht und in klinischen Studien wirksam bei Harnwegsinfekten, Bronchitiden und Sinusitiden ist. Ein grosser Vorteil ist, dass Angocin® sowohl prophylaktisch als auch therapeutisch eingenommen werden kann, sehr geringe potenzielle Nebenwirkungen (gastrointestinal) hat und auch in Kombination mit beispielsweise Femannose® oder Ibuprofen eingenommen werden kann.

Die gute Datenlage dieser Substanz untermauert die Abgabe auch für Patientinnen, die auf Reisen gehen und Angst vor HWI’s haben. Lästige Nebenwirkungen, wie wir sie von klassischen Antibiotikatherapien kennen, wie vaginale Pilzerkrankungen, Durchfälle oder Übelkeit, sind hier kein Problem, was die Compliance verbessert.

Fixe Kombinationen wie beispielsweise Granufink Femina® beinhalten Substanzen, die die Symptome der HWI’s mildern und behandeln können. Granufink Femina besteht aus Hopfen, Kürbissamenöl und Gewürzsumachwurzel und wirkt sedierend auf Harndrangbeschwerden und Pollakisurie, hat keine dokumentierten Nebenwirkungen und in einer multizentrischen Phase-IV-Studie nachgewiesene Wirkungen. Angesichts der guten Verträglichkeit ist dieses Präparat bei den Patientinnen sehr beliebt.

Blaseninstillationen

Blaseninstillationen können bei rezidivierenden HWI’s zusätzlich zur lokalen Wirkung der Substanzen Vorteile durch das mechanische Ausspülen der Harnblase bieten.

Der Vorteil liegt in der fehlenden systemischen Antibioti­kaaktivität mit einer hohen lokalen Kon­zentration in der Blase, der Nachteil bei den Blaseninstillationen ist die Applikation, die entweder nach Selbstinstruktion durch die Patientin selber oder durch das Medizinalpersonal gemacht wird, also recht aufwendig ist.

Das Urothel ist mit einer Lage von polyanionischen Molekülen beschichtet, die überwiegend aus Glycosaminoglycanen (GAG) bestehen, einer Klasse von Aminozuckern, die eine undurchdringliche und neutralisierende Schutzbarriere gegen die im Urin anwesenden toxischen und irritierenden Substanzen bilden (wie z. B. Bakterien, Mikrokristalle, Proteine, ionische und nichtionische Rückstände usw.) und deren Aufnahme auf systemischem Niveau vermeiden. Von den diese Schutzbarriere bildenden GAG spielen das Chondroitinsulfat und die Hyaluronsäure eine zentrale Rolle in der Wirkungsweise der Barriere:

Beispielsweise das IALURIL® Prefill, eine Verbindung von Natriumhyaluronat, Chondroitinsulfat und Calziumchlorid, kann dank der Wirkung des Calziumchlorids funktionell in die Barriere integriert werden und somit deren schützende Funktion wiederherstellen, wovon Patientinnen mit rezidivierenden Zystitiden profitieren können. Durch Wiederherstellung der GAG-Schicht wird die Bakterienadhärenz vermindert und die Inzidenz von HWI gemindert.

Das Produkt erfordert eine Kostengutsprache bei der Krankenkasse.

Fazit für die Praxis:

HWI und rezidivierende HWI sind ein sehr verbreitetes Problem mit hohem Einfluss auf die Lebensqualität. Guidelines hinsichtlich des Screening auf HWI weisen darauf hin, dass zu viele Personen unnötigerweise gescreent werden, die zwar eine Bakteriurie haben, aber keine Behandlung erfordern.

Zunehmende Antibiotikaresistenzen erfordern ein Umdenken in Richtung Alternativen und Prophylaktika, wobei Impfungen, lokale Östrogene, Blaseninstillationen und Phytotherapeutika zum Einsatz kommen.

Literatur bei der Autorin verfügbar

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