Pro/Contra

Was ist der Sinn der Nachsorge? Empfohlen wird sie in jedem Tumorboard. Die Tumornachsorge, so betonen wir gegenüber unseren Patientinnen, ist ein wichtiger Baustein in der Betreuung, die sich an die abgeschlossene Erstlinientherapie nahtlos anschliessen sollte. Der Nutzen der Nachsorge wird selten hinterfragt, obwohl es durchaus Gründe gibt, dies zu tun.

Als Ärzte wissen wir, dass wir auch mit noch so regelmässiger Nachsorge ein Rezidiv nicht verhindern können. Früher erkennen kann man es allenfalls. Aber ist es überhaupt von Vorteil für die Patientin, wenn ein Rezidiv durch die Nachsorge früher, da präsymptomatisch, entdeckt wurde? Belasten wir unsere Patientinnen sogar mit unnötig vielen Terminen? Von Patientinnen können die regelmässigen Termine als einschränkend empfunden werden, mitunter auch als belastend, da jeder Termin mit einer erneuten Konfrontation mit der Krebsdiagnose assoziiert ist. Nicht selten berichten die Patientinnen davon, dass allein der Gang in die Klinik, in der die Therapie erfolgte, als äusserst schwer empfunden wird. Nervosität und Verunsicherung vor der Untersuchung können einige Patientinnen über Tage begleiten und die Lebensqualität einschränken. Ein hoher Preis für eine Massnahme von fraglichem Nutzen. Weder bei Genitalmalignomen noch beim Mammakarzinom liegen valide Daten vor, dass die Inanspruchnahme einer regelmässigen Nachsorge zu einer Prognoseverbesserung der Patientinnen führt. Sicher ist: die Nachsorge mit Arztkonsultationen und apparativer Diagnostik ist mit erheblichen Kosten für das Gesundheitssystem verbunden. Auch die meist knapp bemessene Zeit der Ärzte ist ein zu berücksichtigender Faktor. Nachsorgetermine sind häufig zeitaufwendig. Wollen wir wirklich einen erheblichen Teil unserer Arbeitszeit mit einer Tätigkeit verbringen, deren Nutzen zweifelhaft ist? Aktuelle Leitlinien sehen die Nachsorge weiterhin vor. Für alle Tumorerkrankungen unseres Fachgebietes gilt, dass Anamnese und klinische Untersuchung,

allenfalls noch die Sonographie und beim Mammakarzinom die Mammographie, zum Einsatz kommen sollten, weitere Diagnostik jedoch nur bei speziellen Indikationen. Die regelmässige apparative Diagnostik wird heute erheblich zurückhaltender eingesetzt als noch vor Jahrzehnten. Auch die reguläre Bestimmung von Tumormarkern, die sich vor allem in der Nachsorge des Ovarialkarzinoms nach wie vor grosser Beliebtheit erfreut, ist nachweislich eher schädlich als vorteilhaft für die Patientinnen: sie führt zu mehr Diagnostik, mehr Therapie (inklusive Nebenwirkungen und negativer Auswirkung auf die Lebensqualität) und kürzeren therapiefreien Intervallen, ohne die Überlebenszeit der Patientinnen zu verändern. Weniger ist in der Tumornachsorge in der Tat oft mehr.

Doch es gibt auch Argumente für die Nachsorge. Rezidiverkrankungen können wir durch diese zwar in der Tat nicht verhindern, die Detektion eines Rezidivs ist jedoch nicht der einzige Grund für die Durchführung von Nachsorgeuntersuchungen. Es geht bei der Betreuung von Tumorpatientinnen nicht zuletzt auch um das allgemeine Befinden der Patientin und die Betrachtung aus einem möglichst ganzheitlichen Blickwinkel. Sowohl somatische als auch die psychische Gesundheit sollten eine Rolle spielen. Die Erfassung und das Management von langfristigen Nebenwirkungen/Spätfolgen der Therapie sind zum einen wichtige Leistungen für das Wohl unserer Patientinnen, darüber hinaus können wir aus ärztlicher Sicht hierüber eine unmittelbare Qualitätskontrolle unseres Handelns erfahren. Adjuvante Therapien wie Chemotherapie, endokrine Therapie, Strahlentherapie und natürlich operative Eingriffe gehen mit teils langfristigen Nebenwirkungen einher. Lymphödeme, vaginale Atrophie, Polyneuropathien, Arthralgien – das Spektrum der möglichen Beschwerden ist gross. Ein gutes Nebenwirkungsmanagement ist in zweierlei Hinsicht ein guter Dienst an der Patientin: zum einen verbessert es unmittelbar die Lebensqualität, zum anderen kann es die Compliance verbessern und hierüber sehr wohl einen prognostischen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben. Die generelle Gesundheitserhaltung mit Schulung und Beratung hinsichtlich Lebensführung (Risikofaktoren, Bewegung, Ernährung etc.) spielt eine immer grössere Rolle. Als Ärzte haben wir nicht zuletzt die wichtige Aufgabe, unsere Patientinnen zu beraten, wenn diese durch die Fülle an pseudomedizinischen Informationen von oft fraglicher Qualität (wie die sogenannten „Krebsdiäten“), die insbesondere über das Internet verbreitet werden, überfordert sind. Eine umfassendere Betreuung, die sich nicht allein auf die Erkrankung bezieht, ist hier gefragt.

Gerade beim Thema Mammakarzinom hat die Nachsorge in dieser Hinsicht eine überragende Relevanz. Die adjuvante endokrine Therapie hat Nebenwirkungen, die erkannt und gemanagt werden wollen. Arthralgien, Wallungen, vaginale Atrophie und weitere Probleme sollten erfasst, ernstgenommen und behandelt werden. Erfolgt dies nicht, droht die Incompliance mit ggf. schwerwiegenden Folgen. Die Knochengesundheit ist gerade bei der endokrinen Therapie ebenfalls ein Aspekt, der unbedingt berücksichtigt werden sollte, mit Bisphosphonaten und RANK-Ligand-Inhibitoren haben wir die Möglichkeit zu intervenieren und Schlimmeres zu verhindern. Einige der oft jungen Patientinnen sind durch die Diagnose selbst, die endokrine Therapie und stattgehabte operative Eingriffe in ihrer Selbstwahrnehmung als Frau verunsichert. Beruf, Familie, Partnerschaft, Sexualität, es gibt ein breites Spektrum von möglichen Problemen und Spannungsfeldern. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, diese Probleme zu erkennen, anzusprechen und Interventionsmassnahmen einzuleiten. Das Angebot psychoonkologischer Betreuung sollte nicht nur bei der Primärdiagnose, sondern auch im weiteren Verlauf in der Nachsorge für unsere Patientinnen zur Verfügung stehen. Die allgemeine gesundheitliche Beratung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Für Mammakarzinom-Patientinnen ist belegt, dass Adipositas und Gewichtszunahme mit einer Verschlechterung der tumorassoziierten Mortalität einhergehen. Gewichtsabnahme bei vorbestehender Adipositas und regelmässige körperliche Aktivität wirken sich dagegen positiv auf krebsassoziierte Mortalität und die Lebensqualität aus. Sekundäre Prävention kann sich in diesem Kontext sehr lohnen. Fatigue ist ein häufig nicht erkanntes Problem, welches oft lange nach Therapieende persistiert. Auch Fatigue kann durch körperliche Aktivität reduziert werden.

Auch wenn es praktisch keine Daten dafür gibt, dass die frühe Erkennung eines Rezidivs zu einer Prognoseverbesserung führt: in Einzelfällen kann das frühe Erkennen für die Patientin durchaus relevant sein. Als Beispiele seien angeführt:

1) Das Endometriumkarzinomrezidiv am Scheidenabschluss, welches lokoregionär bregrenzt ist und weder Blase noch Rektum infiltriert – die frühe Erkennung kann dazu beitragen, dass mittels Exzision und allfälliger nachfolgender Radiotherapie eine Behandlung mit niedriger Morbidität durchgeführt werden kann, während bei weiterem Wachstum des Tumors ggf. eine Exenteration notwendig werden würde.

2) Das Zervixkarzinomrezidiv im kleinen Becken nach primärer operativer Behandlung, welches bei lokaler Begrenzung einer potenziell kurativen Radiochemotherapie zugängig ist.

3) Das Ovarialkarzinomrezidiv, dass vor Ausbildung grosser Mengen Ascites erkannt wird und bei dem in der Zweitlinie eine erneute makroskopische Komplettresektion erreicht werden kann.

4) Das In-Brust Rezidiv nach Mammakarzinom, welches dank früher Erkennung noch nicht die Brustwand infiltriert.

Jeder länger in diesem Bereich tätige Arzt wird solche oder ähnliche Beispiele aus eigener Erfahrung kennen.

Der individuelle Nutzen kann für die einzelne Patientin gewaltig sein.

Zusammenfassend ist es wichtig, sich zwar der Grenzen der Tumornachsorge bewusst zu sein, jedoch gleichzeitig auch die Chancen dieser zu sehen. Diese liegen neben der frühen Erkennung eines Tumorrezidivs in einer umfassenden Betreuung unserer Patientinnen. Das Management von Nebenwirkungen und Spätfolgen der Therapie, die Beratung hinsichtlich der Lebensführung (Risikofaktoren, Bewegung, Ernährung), die Erfassung somatischer, psychischer und sozialer Probleme und Bedürfnisse im Rahmen der Nachsorge sind Kernpunkte, die berücksichtigt werden sollten.

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